: Die Affäre um die Fähre
Im April erregte das in Benin gelandete Schiff „Etireno“ mit angeblich 250 Kindersklaven weltweit Aufsehen. Heute will man in Benin von Kinderhandel nichts mehr wissen. Am allerwenigsten wissen Schiffseigner Jonathan Akpoborie und sein Team
aus Cotonou HAKEEM JIMO
Das runde Gesicht von Lawrence Onome bringt nur ein bitteres Lachen hervor. Er kann die Anschuldigungen gegen ihn nicht mehr hören. Der 40-jährige Kapitän der „Etireno“, die in der Nacht zum 17. April nach langer Irrfahrt in Benins Hauptstadt Cotonou landete, sagt zwar, er würde über den Vorwurf des Kinderhandels lachen – doch etwas bleibt ihm im Halse stecken. Denn jetzt hat er den Ruf eines Schiffers, der 250 Kindersklaven befördert haben soll.
Vieles ist noch ungeklärt an der Affäre. Klar ist heute Folgendes: Es gab auf der „Etireno“ keine 250 Kindersklaven, aber 43 Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 24 Jahre und dazu drei Säuglinge. Sie alle waren für den Kinderhandel bestimmt. Dies hat „Terre des Hommes“ ermittelt, im Widerspruch zur offiziellen beninischen Darstellung, wonach eine Verwechslung zweier Schiffe vorlag. Klar ist auch, dass das Schiff der „Titanic Investment Limited“ gehört – eine Firma des nigerianischen VFL-Wolfsburg-Stürmers Jonathan Akpoborie. Dessen älterer Bruder Anthony steht der Tochtergesellschaft „Tennyson Shipping Ltd“ als Geschäftsführer vor, die das Schiff betreibt und auch verchartert.
Gechartert war die „Etireno“ auch auf ihrer vergangenen Reise. Das ergaben Ermittlungen des zuständigen Kommissariats in Benin. Dennoch klärten die Untersuchungen bisher nicht die Schuldfrage. Das wird Aufgabe eines Gerichtes sein. Vielleicht gibt es auch eine parlamentarische Untersuchungskommission. Auch ist unklar, ob es im Falle der 46 Kinder einen organisierten Handel mit professionellen Zwischenhändlern gab. Die Crew der unter nigerianischer Flagge fahrenden Fähre darf Benin nicht verlassen. Sie muss sich zu Zeugenaussagen bereithalten.
Jonathan Akpoborie, der von seinem Club bis zur Klärung der Angelegenheit freigestellt wurde, reiste in der vergangenen Woche nach Nigeria und Benin. In Nigeria bezeichnete er die Affäre am Mittwoch als westliche Verschwörung gegen Afrika. Bereits zuvor hatte er aber in Deutschland bestätigt, dass ihm die „Etireno“ gehört und die Mannschaft von seiner Firma angeheuert wurde. 1998 kaufte der seit gut zehn Jahren in der Bundesliga spielende Nigerianer die Fähre zusammen mit einem anderen Schiff.
Die Mitarbeiter des Fußballprofis weisen alle Vorwürfe der Verwicklung in Kinderhandel weit von sich. Akpobories örtlicher Vertreter Alhaji Ahmed Mikailu, der immer auf der „Etireno“ dabei ist, sagt: „Auf diesem Schiff gibt es weder Kinder- noch Menschenhandel. Wir konzentrieren uns auf den Transport von Waren. Passagiere sind nur ein Teilgeschäft.“
Dass der Eigentümer der „Etireno“ von den Vorgängen auf dem Schiff wusste, ist tatsächlich fraglich. Die Crew sagt, dass der gesamte Fahrkartenverkauf im Bereich des Agenten gelegen habe, der das Boot gechartert hatte – also auch die Überprüfung der Papiere der Passagiere. Der Agent heißt Stanislas Abaton und wird momentan in Gabun festgehalten und verhört.
Auch Kapitän Lawrence Onome, der vor fünf Monaten von Akpobories Unternehmen in Nigeria angeheuert wurde, weist die Kontrollkompetenz weit von sich. „Wenn Sie im Flugzeug fliegen, kümmert sich ja der Pilot auch nicht darum, ob Sie die richtigen Papiere haben und warum Sie an Bord sind“, meint er. Auf einige Zeugenaussagen reagiert Onome verärgert: Dass Reisende bis zu 240.000 CFA-Francs (gut 700 Mark) für die geplante einfache Fahrt von Benin nach Gabun zahlen mussten – mehr als ein Rückflugticket – statt 60.000 (knapp 200 Mark), wie auf den Tickets steht.
Die Regierung von Benin will derweil möglichst schnell den beschädigten Ruf ihres Landes reparieren. Die Route Benin–Gabun gilt als eine der Hauptrouten für den Kinderhandel in Westafrika. Doch für die Menschen in Cotonou hat das wenig Spektakuläres. Nachdem klar sei, sagt Agapit Napoleon, Chefredakteur der Tageszeitung Le Matinal, dass keine 250 Kinder an Bord waren, wird der Fall „Etireno“ nicht mehr ernst genommen.
„Kinderarbeit ist in unserer Kultur etwas völlig Normales“, so Napoleon. „Zu verurteilen sind natürlich die ausbeuterischen oder gewalttätigen Auswüchse. Aber Kinder auf bestimmte Zeit wegzugeben, ist völlig normal und wird oftmals sogar als soziale Chance gesehen.“ Denn wenn Kinder aus ärmeren Familien bei reicheren Bekannten oder Verwandten im Haushalt für eine begrenzte Zeit „aushelfen“, können sie auch eine Schulbildung bekommen, die sie sonst nicht hätten. Selbst viele Geschäftsleute und leitende Beamte in Benin haben solche Biografien.
Doch manche Bürger sind jetzt aufgeschreckt. Zeitungen nennen offen Namen von Familien, die in den Handel verstrickt sind – und dem Präsidenten Mathieu Kérékou nahe stehen sollen. Der Umgang von Benins Regierung mit Kinderhandel ist ausgesprochen lasch. Gefasste Händler bleiben zumeist unbehelligt und werden höchstens zu Geldstrafen oder ein paar Monaten Haft verurteilt. Denn das einzige Vergehen, das ihnen rechtlich vorgeworfen werden kann, ist der Verstoß gegen Ausreisebestimmungen von Minderjährigen – ein kleines Delikt.
Kapitän Onome hat den Rummel satt. Tagsüber sitzt er in einer Seemannskneipe in der Nähe des Schiffes und trinkt ab 12 Uhr mittags Bier. Geld hat er genug. Seine Brieftasche ist prall gefüllt mit 10.000-CFA-Scheinen, jeder einzelne rund 30 Mark wert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen