: Kirchhof löst Steuerstreit aus
Die Ideen des früheren Bundesverfassungsrichters Paul Kirchhof zur Neuregelung der Einkommenssteuer stoßen bei der Opposition und bei den Wirtschaftsverbänden auf große Zustimmung. Die rot-grüne Bundesregierung ist weniger begeistert
BERLIN rtr ■ Die Vorschläge einer Expertengruppe um den früheren Verfassungsrichter Paul Kirchhof zur Neuordnung der Einkommenssteuer sind bei der Regierung auf deutliche Ablehnung gestoßen. Der am Mittwoch vorgestellte so genannte Karlsruher Entwurf erhielt dagegen die Zustimmung von CDU, CSU, FDP und der Wirtschaft.
Kirchhof bezeichnete den von ihm und neun weiteren renommierten Steuer- und Rechtsexperten erarbeiteten Gesetzentwurf als einen Versuch, das Einkommenssteuerrecht wieder plausibel und für jedermann nachvollziehbar zu gestalten.
Der von Kirchhof vorgestellte Entwurf sieht einen progressiven Steuertarif vor, der bei 15 Prozent beginnt. Die Besteuerung soll nach dem Modell bei einem Einkommen von 16.000 Mark einsetzen. Für Einkommen ab 70.000 Mark sieht der Entwurf einen Höchststeuersatz von 35 Prozent vor. Der Grundfreibetrag soll einheitlich für jeden gelten. Insgesamt geht der Entwurf von einer tariflichen Steuerentlastung von rund 83,6 Milliarden Mark aus. Dem stehen durch das Streichen von 53 Ausnahmeregeln Einnahmen von rund 71 Milliarden Mark gegenüber.
Nach Kirchhofs Worten kann das Modell jedoch weit gehend aufkommensneutral umgesetzt werden. Dabei setzen die Experten vor allem auf die von ihnen vorgeschlagene Aufhebung des Bankgeheimnisses, die erhebliche Mehreinnahmen bringen werde. Derzeit muss bei einem jährlichen Einkommen von rund 107.000 Mark oder mehr ein Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent gezahlt werden. Der Eingangssteuersatz von 19,9 Prozent setzt bei rund 14.000 Mark an.
Teil des Modells ist zudem eine Anhebung des Kindergeldes auf monatlich 470 Mark pro Kind. Derzeit beträgt das Kindergeld 270 Mark für das erste und zweite Kind. Nach dem Modell sollen zudem die Beiträge für die Altersvorsorge steuerfrei gehalten werden und somit der Einstieg in eine nachgelagerte Besteuerung geschafft werden.
Der CDU-Wirtschaftsexperte Gunnar Uldall begrüßte das Modell als Beispiel für eine überfällige Vereinfachung des Steuersystems. Der Entwurf folge dem gleichen Grundsatz wie seine und die Überlegungen des CDU/CSU-Fraktionschefs Friedrich Merz. Ziel sei es, in der Einkommenssteuer keine Lenkungskomponenten mehr zu setzen: „Man darf nicht mit Steuern steuern.“ Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) forderte Eichel auf, das Kirchhof-Modell als Anstoß zu einer Steuervereinfachung zu nutzen.
Der FDP-Finanzexperte Carl-Ludwig Thiele lobte die Klarheit und die Familienkomponente des Kirchhof-Konzepts und warnte die Regierung davor, es mit einem ablehnenden Schnellschuss zu zerstören. Auch der Bund der Steuerzahler und der Deutsche Industrie- und Handelstag begrüßten den Entwurf.
Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) lehnte die Vorschläge der Gruppe hingegen als ungerecht und verteilungspolitisch unausgewogen ab. Das Streichen der Ausnahmeregelungen träfe vor allem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkünfte. Eine über die bisherigen Pläne hinausgehende Steuersenkung schloss er aus. Die Bundesregierung habe ein eigenes, dreistufiges Steuermodell festgelegt: „Darüber hinaus wird es keine Entlastungsstufe mehr geben.“ Auch SPD-Fraktionsvize Joachim Poß kritisierte den Entwurf. Es sei zu vermuten, dass alleine Spitzenverdiener Nutznießer wären. Zudem müsse die Finanzierung der von Kirchhof errechneten Steuermindereinnahmen von über 70 Milliarden Mark geklärt werden.
Der Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), Anton Börner, erklärte gestern: „Das Kirchhof-Modell darf nicht einfach in der Schublade verschwinden. Die Bundesregierung sollte den Mut aufbringen, eine solche Reform ernsthaft anzugehen.“
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