: Wohnen unter Wasser
■ Der Bremerhavener Wohn-Wasserturm ist zwar seit 1997 still gelegt, Menschen leben in dem 20er-Jahre-Monument aber noch immer – als ganz normale Mieter / Eine Ortsbesichtigung
SCHON AUF DER FAHRT nach Bremerhaven ist er nicht zu übersehen: Düster ragt der Wulsdorfer Wohnwasserturm über dem Bremerhavener Stadtteil auf, dessen Mittelpunkt er gleichzeitig bildet. Architekt Wilhelm Kunz hatte sich 1927 vorgestellt, dass der Turm „alle anderen Nachbargebäude überragen und stadtbildprägend wirken sollte“. Die Straßen verlaufen rechtwinklig um den Turm herum und sorgen dafür, dass der Besucher auf ihn zuläuft, wie Gary Cooper auf seinen Gegenspieler in „High Noon“. Auf den sechs Wohnstockwerken sitzt das Geschoss mit den zwei leeren 750-Kubikmeter-Wasserbehältern. Dunkler Klinker, streng geometrische Formen und bunkerhafte Umrisse verleihen dem Bauwerk einen spröden Charme.
Im Kontrast zum dunklen Äußeren steht sein einladendes Innenleben, das sich jenseits der schweren Schwingtür eröffnet: Ein gelb gestrichenes Treppenhaus mit vielen Fenster, geräumige, helle Wohnungen. Dabei wäre der Turm beinahe nicht gebaut worden: Mehr als drei Stockwerke waren damals in Wulsdorf nicht erlaubt. Die Stadtverwaltung erklärte die Wohnungen kurzerhand zu „Notwohnungen“ und der Bau begann.
Und wie wohnt es sich in „Notwohnungen“? „Naja, für das Geld können wir uns wohl nicht beklagen“, sagt ein Mieter, der nicht nur für die Stadtwerke gearbeitet hat, sondern auch schon seit 30 Jahren bei ihnen – oder besser: in ihrem Wasserturm – wohnt. „Heute kümmert sich keiner mehr um was. Und wenn man bei den Stadtwerken anruft, dann sagen die: ,Wenn's Ihnen nicht passt, könnense ja ausziehen.'“ Ob man mal in die Wohnung gucken könne. Ach nee, da fragen sie besser mal bei den Jungen unten.
Zwei Stockwerke tiefer: „Es ist grad' schrecklich ungünstig, ich hab' das Essen auf dem Herd. Aber ganz unten wohnt einer, der ist auch im Betriebsrat der Stadtwerke.“ Der Betriebsrat ist zwar da, öffnet aber die Tür nicht. Dafür nimmt uns ein Schulmädchen mit, und wir lernen die Wohnung von Familie Kirli kennen.
Drei Zimmer, Flur, Küche und Bad. „Wir sind hier vor zwei Jahren eingezogen, da war der Wasserturm schon außer Betrieb“, erzählt Herr Kirli. Ansonsten sei das eine ganz normale Wohnung, vielleicht ein wenig hellhörig. Auch hier kommt der Verweis auf die niedrige Miete. Und die Tochter erklärt: „Ich habe den schönsten Ausblick – nachts kann ich die Lichter vom Hafen sehen.“
Die Nähe zum Hafen hat einen historischen Grund. Die Wasserspeicher des 1927 eingeweihten Turmes versorgte den nahegelegenen Fischereihafen mit Wasser. „Dort wurde viel Wasser in der Verarbeitung und Reinigung gebraucht“, berichtet Denkmalschützer Dr. Hartmut Bickelmann. Hinzu kam, dass im Zuge des ersten Weltkrieges Wohnungen an allen Ecken und Enden fehlten: deshalb „Notwohnungen“. Dass die Stadt einen Wohnturm mit Wasseraufsatz baute, in dem ihre Angestellten billig wohnen konnten, findet Bickelmann nur verständlich. „In den Jahren der Weimarer Republik mit ihrer wirtschaftlichen Misere hatte die Kommune auch eine soziale Verantwortung.“
Jörn Hoffmann von den Bremerhavener Stadtwerken schiebt ein anderes Argument in den Vordergrund. Die Wohnungsnot sei zwar ein wichtiger Faktor gewesen, aber nicht zu unterschätzen wäre, „dass man die Techniker damit vor Ort hatte. Wenn mal was mit dem Wasserspeicher nicht in Ordnung war, war der Fachmann zur Stelle.“
Seit 1997 sind alle vier Bremerhavener Wassertürme außer Betrieb, das Wulsdorfer Exemplar steht unter Denkmalschutz. Damit ist nicht nur gesichert, dass der Turm erhalten bleibt. Für die Stadtwerke ergeben sich auch Probleme. Denn Denkmalschutz kostet, und deshalb hätten die Energiebetriebe keine Probleme, den Wasserspeicher zu verkaufen. „Die Mieter müssen sich deswegen aber keine Sorgen machen,“ beschwichtigt Jörn Hoffmann. Bei einem möglichen Besitzerwechsel würde sich für sie nichts ändern. Die schöne Sicht auf die Hafenlichter bleibt den Bewohnern also erst einmal erhalten. Und den Bremerhavenern der Gary-Cooper-Effekt. juka
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen