: Visage will nach oben
Silvio Berlusconi hat alles, was Guido Westerwelle zum Herrschen noch fehlt
IMPERIA/ITALIEN taz ■ Als Kraterlandschaft könnte Guido Westerwelle sogar dem Mond Konkurrenz machen. Diese Aussicht lockt ihn wenig. Lieber will sich der zwanghafte Kapitänsdarsteller immerzu im Fernsehen betrachten lassen und für so wichtig genommen werden, wie er sich macht. Am Rednerpult fuchteln, die Fäuste ballen und herumschreien, das gefällt ihm. „Wir sind ein eigenes Lager!“, bellte Westerwelle in den FDP-Parteitag hinein. „Wir sind kein Zelt in einem anderen Lager!“ Der Irrsinn wurde von den Delegierten wild beklatscht: Die FDP ist ein eigenes Lager, und Westerwelle ist der Lagerkommandant. Als menschliches Antlitz des Kapitalismus ist Guido Westerwelle eine Fehlbesetzung. Schon bald wird sich ein Aktionsbündnis „Schwule gegen Westerwelle“ formieren, denn Westerwelle unterminiert penetrant das positiv diskriminierende Vorurteil, Homosexuelle seien durch die Bank gut aussehend, stilvoll und charmant.
Vizekanzler kann er vielleicht werden, mehr ist nicht drin. Die Möglichkeiten des Neopopulisten Westerwelle sind so beschränkt wie er selbst. Das nagt an ihm. Von Neid zerdullert schaut Westerwelle nach Österreich und Italien: Der klemmschwule Jörg Haider sieht auf eine prollig-sportive, skilehrerhafte Art gut genug aus, um es, zumindest im faschierten Österreich, bis ganz nach oben zu schaffen. Und in Italien macht Silvio Berlusconi alles, wovon Westerwelle sein Leben lang träumen wird. Verglichen mit der allgegenwärtigen Präsenz Silvio Berlusconis in Italien ist der Windmacher Westerwelle medial quasi gar nicht existent.
Jeder italienische Haushalt bekam in den vergangenen Wochen Berlusconis Biografie als Gratisgabe aufgedrängt: „Una Storia Italiana“, 132 bunte Seiten mit mehr als 240 Fotos von Silvio Berlusconi. So geht das. Gib ihnen keinen Geist und keinen Gedanken, gib ihnen etwas zu blättern und multipliziere die Visage. Denn Visage will und muss nach oben, auch um den Preis erpressungstauglicher Fotos: Berlusconi mit dem Dalai Lama, Berlusconi mit dem Papst, Berlusconi mit Sylvester Stallone, Berlusconi mit Bill Clinton, Berlusconi mit Helmut Kohl, Berlusconi mit Margaret Thatcher, Berlusconi mit Boris Jelzin, Berlusconi mit François Mitterrand, Berlusconi mit Tony Blair – die kriminellen Altlasten geben sich die Klinke in die Hand. Dann gibt es noch Berlusconi mit Mamma Rosella, Berlusconi mit seiner Frau Veronica, „il grande amore“, Berlusconi mit Kindern, Berlusconi als Baby auf Papas Arm, Berlusconi als junger Mann und Sänger, Berlusconi mit Blumen, Berlusconi im Milan-Stadion . . . Nur einen ödet das nicht an, und der heißt Berlusconi.
Geschmückter als ein Weihnachtsbaum ist Berlusconi, der Führer der Forza Italia. Jeden, der ihm nicht folgt, verfolgt er als Kommunisten und macht entsprechend demonstrativ auf harmlos und dufte, auf simpàtico; Berlusconi, der reichste Mann Italiens, hält tödliche Macht in Händen und will noch viel mehr davon haben. Sein Koalieren mit Faschisten verkauft er als strategische Grandezza und sich selbst als Mann der Freiheit, obwohl er doch das Land zu führen gedenkt, als wäre es sein Privatbesitz. Mit einem kräftigen Spritzer D’Annunzio und einem Hauch Mussolini parfümiert, schaut Berlusconi selbstgewiss aus der eleganten Wäsche, das ölige Lächeln wie eingearbeitet, und immer ist er unzweifelhaft der Chef. Berlusconi und immer noch mehr Berlusconi kübelt das Berlusconi-Heft auf sein Publikum und fräst eine Hymne in den Kopf: Ber-lu-sco-ni, Ber-lu-sco-ni, Ber-lu-scoo-niii. „Forza Italia, la forza de vìncere“, singen Berlusconis Fans; es ist ein modernisiertes und melodisch gehübschtes „Sieg Heil!“, aber auf Italienisch klingt ja der letzte Dreck noch passabel, jedenfalls nicht wie das trittfeste deutsche Wes-ter-wel-le. Wer sänge schon für den? Und was auch? „Clearasil, viel hilft viel“?
„Von hier aus wird nicht geherrscht, sondern von hier aus wird regiert.“ So sprach ein Mann, der ein Klumpen an schlechtem Geschmack ist wie das Gebäude, über das er redete, besinnungslos wie immer. Kanzleramtsinsasse Gerhard Schröder muss seinen Wunsch, Anzüge von Berlusconi zu tragen, unterdrücken – noch. Guido Westerwelle, der Mann mit dem eigenen Lager, hätte mit dem Herrschen kein Problem. Aber mit dieser Visage, wie soll das gehen? Die Schönheitschirurgie, das weiß man von Iris Berben, soll ja wahre Wunder vollbringen. Vielleicht sieht Westerwelle nach dem Schnippeln aus wie Michel Friedman – also wie Berlusconi, nur sogar noch eingefetteter?
Sozialdemokratie als solche ist öde. Als ein Fleckchen Spucke in der Suppe von Leuten wie Berlusconi und Westerwelle aber hat selbst Schröders unwillige SPD-Simulation noch Handbremsenfunktion. Das ist es, was von linker Politik und Antifa übrig blieb: Wenn Jörg-Silvio Westerwelle aufs Gaspedal latscht, muss die verbliebene Halb- und Viertelzivilisation auf die Bremse treten. Wen soll das noch interessieren? WIGLAF DROSTE
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