Schönheit ohne Rinderhirn

Der Trend zur Naturkosmetik hält unvermindert an. Hersteller setzen verstärkt auf natürliche Rohstoffe. Die Rinderseuche BSE verunsichert Verbraucher

von TILMAN VON ROHDEN

In Zeiten von BSE und MKS steigt die Verunsicherung beim Verbraucher. Darf ich oder lieber doch nicht? Könnten nicht doch das eine oder andere Virus oder die geheimnisvollen Prionen, die man gemeinhin für BSE verantwortlich macht, unheilvolle „Grußbotschaften“ hinterlassen, auch wenn die Experten nimmermüde versichern, dass damit nicht zu rechnen sei?

Längst trifft die Verunsicherung nicht mehr nur Bauern, die Fleisch- und Nahrungsmittelindustrie und den Einzelhandel. Auch die Hersteller von Medikamenten und Kosmetika bekommen die Vorbehalte der Konsumenten zusehends zu spüren: „Unsere Dialogtelefone werden in jüngster Zeit von den Konsumenten viel häufiger als in vergangenen Jahren benutzt“, sagt Ingrid Reißner vom Schwäbisch Gmünder Unternehmen Weleda, das in Deutschland bei Naturkosmetika Marktführer ist. Nach ihren Angaben hat Weleda schon seit Jahren steigende Umsatzzahlen. Daher könne man das Unternehmen auch nicht als BSE-Profiteur bezeichnen. „Die Menschen sind in den vergangenen Jahren sensibler geworden“, begründet sie den Erfolg von Weleda. Das Unternehmen, das in diesem Jahr auf eine 80-jährige Geschichte zurückblicken kann, produziert getreu der Überzeugung, dass eine grundsätzliche „Wesensverwandschaft von Menschen und Pflanzen gibt“, so Reißner, weitgehend unter Verzicht auf tierische Bestandteile oder Vorprodukte.

Bei Körperpflegeprodukten verwendet Weleda laut eigener Auskunft überhaupt keine tierischen Rohstoffe. Für Kosmetika würden drei Stoffe von lebenden Tieren verwendet: Lanolin und Cholesterin, die aus Wollfett gewonnen werden, und Bienenwachs. In der Rasiercreme sei außerdem Ziegenmilch verarbeitet. Alle Hilfsstoffe von Weleda-Produkten würden auf pflanzlicher Basis hergestellt. Auch Glycerine, die in vielen Kosmetikprodukten vorkommenden, würden aus pflanzlichen Ölen gewonnen. Diese Produktphilosophie ist strenger als die offiziellen Empfehlungen für die Herstellung von Naturprodukten.

Die jüngste und wichtigste Empfehlung hat der Europarat im vergangenen Jahr herausgegeben. Dort ist notiert, dass Naturkosmetika aus natürlichen Stoffen tierischer, pflanzlicher oder mineralogischer Herkunft stammen müssen. Ausnahmen von diesem Prinzip sind nur bei Konservierungsstoffen und Emulgatoren möglich. Der weitgehende Verzicht auf synthetische Stoffe begründe die Beliebtheit dieser Kosmetika beim Verbraucher, meint Regina Schumann vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV). „Der Trend zur Naturkosmetik besteht schon seit vielen Jahren, die BSE-Debatte hat ihn nicht verursacht“, meint Schumann, die auch Geschäftsführerin der „Kosmetik-Kommission“ ist, die das BgVV wissenschaftlich berät. Nach ihren Angaben finden sich in natürlichen und konventionellen Kosmetika rund 6.000 bis 7.000 Substanzen. Rund 10 Prozent davon seien durch das BgVV „reguliert“, was von einer expliziten Zulassung bis hin zum totalen Verbot reiche. Die restlichen 90 Prozent sind unreguliert, denn Kosmetika brauchen keine Zulassung. Das Bundesinstitut wird nur tätig, wenn einzelne Substanzen „auffällig“ sind. Ansonsten gilt die Verantwortung der Hersteller. Regina Schumann ist skeptisch, wenn kosmetische Produkte unter moralischen Kategorien betrachtet werden: Die Naturkosmetik sei nicht per se gut, ebenso wenig die synthetische Kosmetik schlecht. Für Schumann gibt es keinen wesentlichen Unterschied, denn die Inhaltsstoffe der naturkosmetischen Produkte seien ebenso wie bei synthetischen Produkten „chemisch definierte Substanzen“. Einen Unterschied sieht die Mitarbeiterin des BgVV aber schon: Naturkosmetik sei Bestandteil einer bestimmten Lebensart, der Begriff von vornherein „ideologisch“ besetzt. Ganz so einfach liegt die Sache aber nicht, denn auch die Hersteller konventioneller und synthetischer Kosmetika bemühen sich seit Jahren verstärkt, natürlichen Rohstoffen einen größeren Stellenwert einzuräumen. Dabei stoßen sie allerdings an Grenzen, denn auf natürliche Weise sind die gewünschten Mengen kaum zu beschaffen. „Es macht keinen Sinn, weltweit ganze Regionen für die Herstellung von Naturkosmetika in Beschlag zu nehmen“, sagt Bernd Strömer vom Industrieverband für Waschmittel und Kosmetik.

Ein anderes Problem für Weltmarktproduzenten ist die unterschiedliche Qualität der pflanzlichen Rohstoffe, meint auch Ingrid Reißner von Weleda. Nach ihren Angaben komme es immer mal wieder vor, dass das Rohmaterial nicht die geforderte Qualität aufweist. Kosmetika können dann nicht hergestellt werden. Für global agierende Produzenten von Kosmetika eine Vorstellung, die besonders unter finanziellen Gesichtspunkten Alpträume auslöst.