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auf augenhöheKIRSTEN KÜPPERS über das Schwarzfahren

Eine einsame Berufsgruppe

Das Hobby des Schwarzfahrens stirbt nicht aus. Im Gegensatz zu anderen Protestformen, wie durch den Regen demonstrieren oder den Müll nicht raustragen, ist Schwarzfahren immer noch beliebt. Die Anhänger dieser Bewegung unterhalten sich wie eh und je über die besten Taktiken. Und die schlichte Frage, ob man zur Vermeidung von Kontrollen besser vorne oder hinten in den U-Bahn-Zug einsteigt, kann viele Berliner lange Nachmittage beschäftigt halten. Gewisse Dinge ändern sich nie, denkt man dann bei solchen Gesprächen. Das gibt einem ein angenehm beruhigendes Gefühl.

Die Gegenseite registriert dagegen einen Wandel. Die schleichende Brutalisierung des Arbeitsalltags des Kontrolleurberufs, konstatierte vor kurzem etwa die Berliner Boulevardzeitung B.Z. Die Kontrolleure in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt hätten täglich unter Arm- und Beinbrüchen, verstauchten Handgelenken und Prellungen zu leiden. So wurden 1999 allein 85 Angehörige der Verkehrsbetriebe (BVG) von Fahrgästen angegriffen. 2000 zählte man bereits 158 Fälle, und in diesem Jahr haben sich bis März schon 40 gefährliche Zusammenstöße ereignet. Besonders aggressiv gingen die Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein vor. „Nicht selten schubsen Schwarzfahrer BVG-Mitarbeiter auf das Gleisbett und fliehen, sagt der Kontrolldienstleiter Helmut Blocksdorf. Sogar Messerangriffe, Spuck- und Beißattacken seien an der Tagesordnung.

Die Freude am Beruf geht dabei natürlich verloren. Auch die Kontrolleurin Brigitte W. meint inzwischen: „Diesen Job will ich nicht mehr.“ Mit Halsverband und enttäuschtem Gesicht liegt die 53-Jährige im Krankenhaus. Als sie neulich einen Fahrgast, der seine nackten Füße im U-Bahn-Waggon ausstreckte, „zur Räson“ bringen wollte, zog der drogensüchtige Schwarzfahrer ein Messer und stach zu. Brigitte W. ist mit den Nerven am Ende. „Ich wurde schon einmal aus dem Zug gestoßen und nun das. Seelisch verkrafte ich das nicht mehr.“ In Zukunft werden sich die Psychologen der „sozial-medizinischen Dienststelle“ der BVG um Frau W. kümmern müssen.

Um solch traurigen Fällen wenigstens in der Zukunft vorzubeugen, besuchen BVG-Kontrolleure jetzt immerhin Deeskalationsseminare. „Denn man kann nur versuchen, den Angreifer zu beruhigen“, meint der Seminarteilnehmer Wolfgang Frey. Waffen trägt er im Dienst keine bei sich. Im Alarmfall drückt Frey nur vorsichtig die Notruftaste auf seinem Handy.

Harmlos sind Kontrolleure deswegen jedoch noch lange nicht. Längst wissen auch sie, welche Druckereien in Osteuropa und Anatolien die Berliner Fahrausweise fälschen und an welchen Fehlfarben man diese erkennen kann. Mit solcherlei Fachkenntnissen und furchteinflößenden Schwerpunktkontrollen haben die Berliner Verkehrsbetriebe es inzwischen geschafft, die Schwarzfahrerquote in den letzten drei Jahren von 3,4 Prozent auf 3 Prozent zu drücken. Beliebter werden die Kontrolleure freilich durch diesen kleinen statistischen Erfolg bei den Berlinern nicht. Schließlich wurde die Bevölkerung hier weitgehend mit Ton, Steine, Scherben-Songs wie „BVG, nee, nee, nee“ und dem kritischen „Kontroletti-Tango“ aus dem Musical „Linie 1“ sozialisiert. Das Gerücht, wonach das Kontroll-Ressort der BVG seit Mauerfall als Auffangbecken für ehemalige Stasi-Mitarbeiter dient, sorgt für weiteren Unmut. Kurzum, Freundschaften mit dieser Berufsgruppe entwickeln sich kaum.

Vielmehr ist Schwarzfahren weiten Bewohnerkreisen der Stadt längst zu einer Art schönem Glaubensbekenntnis geworden, mit dem man nicht nur billiger reisen, sondern auch noch radikale Eleganz beweisen kann. Die Anhänger der Nulltarif-Gruppe verachten meist sogar alle Ticketkäufer im Bekanntenkreis. Ihre Freunde rekrutieren sie neuerdings im Chat-Forum von www.schwarzfahren.de. Hier geht wieder viel um vorne oder hinten einsteigen. Ein junges Mädchen aus Chemnitz schreibt: „Ich wurde heute beim Schwarzfahren erwischt. Mich kotzt das total an.“ Doch andere Menschen leiden auch. Neulich wurde auf einem Berliner Flughafen ein Mann verhaftet. Wegen angehäufter Schwarzfahr-Schulden. Eigentlich wollte er gerade eine Asienreise antreten.

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