Furcht vor den Kriegstreibern

aus Skopje ERICH RATHFELDER

Slupcane und Vaksince mit der sie umgebenden Region sind von der makedonischen Armee eingeschlossen. Sie und sieben weitere in den Bergen gelegene Dörfer werden seit dem 1. Mai von der albanischen Guerillagruppe UÇK kontrolliert. Die Armee schießt mit Panzern, Hubschraubern und Artillerie.

Die Fahrt in die Dörfer ist nicht ohne Risiko. Vor wenigen Tagen wurde ein gepanzertes Auto der BBC zerstört. Doch nur hier ist direkt zu erfahren, wie die UÇK auf die neue Regierung der nationalen Einheit reagiert. Wird sie weiterkämpfen oder aufgeben?

Seit Wochen hat es harte Verhandlungsrunden in Skopje gegeben. Im Hintergrund versuchten die Diplomaten der EU-Staaten, die vor vier Wochen durch ein US-amerikanisches Team verstärkt wurden, eine Lösung zu finden. Denn der Fortgang des Krieges in Makedonien muss gestoppt werden, wollte man die hier und in benachbarten Ländern erreichten Fortschritte nicht wieder in Frage stellen. Nach den Kämpfen um Tetovo Ende März verfolgte man die Idee, alle makedonischen Parteien in einen Verhandlungsprozess einzubinden. Damals schon war es der internationalen Seite durch Druck auf alle albanischen Politiker in Albanien, Kosovo und Makedonien gelungen, die UÇK zum Rückzug zu bewegen.

Als dann am 23. April ein Durchbruch bei den Allparteienverhandlungen in Makedonien erfolgte, der es ermöglichte, viele Forderungen der Albaner nach Abbau der Diskriminierungen im Staate gegenüber der slawisch-makedonischen Mehrheit durchzusetzen, tötete die UÇK in den Bergen acht Soldaten. Mehr noch: Mit einem Überfall auf eine Polizeistreife in Vaksince eröffnete sie den Kampf in dieser 30 Kilometer nordöstlich von Skopje gelegenen Region. Die Fortschritte waren zunichte.

„Wir müssen die UÇK unter allen Umständen dazu zwingen, ihren Kampf aufzugeben“, erklärt einer der Diplomaten. Man habe bei den Verhandlungen über die Regierungsbildung auch erwogen, wie die UÇK demobilisiert werden, ein Rückzug nach Kosovo aussehen, die Bevölkerung später vor eventuellen Racheakten der makedonischen Polizei geschützt werden könne.

Auf der Fahrt in die Berge eine Kontrolle der Armee. Nach Prüfung der Papiere geben die Soldaten die Fahrt frei. Es gilt, eine Kampfstellung im Nachbarort Matejce zu umfahren. Dort sollen Scharfschützen sitzen. Kaum zwei Kilometer entfernt taucht der erste Posten der UÇK auf, in deutschen und schweizerischen Uniformen steckende und mit Kalaschnikows bewaffnete Kämpfer. Eine Granate schlägt in der Nähe ein. Doch an diesem Samstagvormittag ist es bisher relativ ruhig geblieben. Die ersten Häuser Slupcanes sind zu sehen. Dächer sind von Granaten zerrissen, in manchen Häuserwänden klafft ein Loch.

Nuhe Osmani, der Bürgermeister, empfängt die Besucher im Keller. Dicht gedrängt sitzen da 50 Personen, Frauen, Kinder, alte Leute in einem mit Teppichen und Decken ausgelegten Raum. Es ist es dunkel, Strom gibt es nicht und die Fenster sind mit Sandsäcken gesichert. Zu essen habe man nur noch wenig, nur noch Brotsuppe sei da, sagen die Leute. Die Kinder könnten sich nicht bewegen, klagen sie, alle hätten Angst vor den Granaten. Auf die Toilette zu gehen berge jedesmal ein Risiko. Wollen sie nicht weg? Die Regierung hat doch die Zivilbevölkerung aufgerufen, die beschossenen Dörfer zu verlassen. „Wo sollen wir hin?“, fragt eine alte Frau zurück, Leute aus anderen Dörfern seien geschlagen worden, sie blieben lieber hier bei ihren Männern. „Wir verteidigen nur unser Dorf.“ Und die neue Regierung? „Die muss erst beweisen, dass sie es mit dem Frieden ernst nimmt.“

Die Parole „Die UÇK ist das Volk, das Volk ist die UÇK“, die ein Kämpfer ruft, mutet zwar wie ein maoistisches Schlagwort der Siebzigerjahre an. Doch der Bursche stammt aus dem Dorf, ist Mitglied jener Familie, die da im Keller sitzt.

Wir werden ins Dorf Lipkovo gebracht. Ein hagerer Mann tritt in den Raum, stellt sich als „Shpati“ und Sprecher der UÇK vor. „Die UÇK ist mit ihrer Aktion zu einem politischen Faktor in der Region geworden“, sagt er, „ohne uns geht gar nichts.“ Die beiden Albanerparteien würden von der UÇK nicht ernst genommen, Kontakte bestünden nicht. „Keiner ihrer Führer kam hierher.“

Wie steht es um die Kontakte zur internationalen Gemeinschaft? „Nur indirekte.“ Erwarte man von der neuen Regierung ein Abebben der Kämpfe? „Das müssen wir erst sehen.“ Sei man bereit, sich zurückzuziehen, den Kampf, wie von der internationalen Gemeinschaft gefordert, aufzugeben? „Unter bestimmten Umständen ja. Wir haben allerdings kein Rückzugsgebiet, wir sind aus Makedonien. Wenn wir die Waffen niederlegen, muss garantiert werden, dass die makedonische Armee und Polizei sich keine Übergriffe gegen unsere Bevölkerung erlauben darf – durch internationale Überwachung.“ Darüber solle es direkte Verhandlungen zwischen der Regierung, der internationalen Gemeinschaft und der UÇK geben.

Die UÇK ist also bereit, sich aufzulösen? Die Kämpfer an der Straßensperre blicken skeptisch. Jetzt sind laute Detonationen zu hören. Ein Hagel von Granaten senkt sich auf die Dörfer Slupcane und Vaksince. Später sagt die Armee, 30 Kämpfer der UÇK seien getötet worden. Shpati dementiert und erklärt, eine noch nicht bekannte Anzahl von Zivilisten sei ums Leben gekommen.

Die Diplomaten in Skopje sind über die Aktion der makedonischen Armee erbost. Noch aber hoffen sie, dass die jetzt erreichten Fortschritte nicht gleich wieder zunichte gemacht werden. Dass es auch auf der makedonischen Seite Kräfte gibt, die den Krieg wollen, muss ebenfalls kalkuliert werden. Indem die makedonischen Parteien zu Kompromissen mit den Albanern gezwungen werden, öffnet sich im rechten Spektrum ein Vakuum. Schon gibt es Berichte über den Aufbau von paramilitärischen Einheiten der Makedonier.