: Haben wir je ein Problem gehabt?
Es hätte so schön böse werden können: Links die jungen Experimenta-Teilnehmer, rechts die alte Restaurationsfraktion. Und dann das: Harmonie und große Einigkeit. Beim Berliner Theatertreffen empfahl am Sonntag eine Podiumsdiskussion über den Generationenkonflikt die Abschaffung desselben
von CHRISTIANE KÜHL
Ha! Reingefallen! Jetzt lesen Sie diesen Text, weil die Unterzeile einen Text über den Generationenkonflikt im Theater ankündigt. Aber dieser Konflikt existiert gar nicht! Den haben die Medien erfunden, aus purer Langeweile, aus kritikerberufsbedingter Wichtigtuerei, wenn wir Sonntag das Podium beim Theatertreffen richtig verstanden haben. Unter dem Titel „Was heißt denn hier alt – Was heißt denn hier jung?“ waren Theaterregisseure aus zwei Generationen eingeladen, ihre unterschiedlichen Auffassungen vom Theater zu diskutieren, aber die, so konnte man lernen, gibt es gar nicht.
Ein wenig überraschend ist das schon. Das 38. Theatertreffen, das seit dem ersten Mai wie in jedem Jahr seit 1964 die „bemerkenswertesten“ Theaterinszenierungen des deutschsprachigen Raums präsentiert, ist in diesem Jahr ein Treffen der Altmeister. Zadek, Bondy, Kusej vom Wiener Burgtheater plus Ex-Burgler Peymann stemmen die Hälfte des Programms, dazu kommt die bewährte Riege Castorf, Marthaler, Schlingensief. Allein Thomas Krupa und Michael Thalheimer konnten als No-Names des Establishments ihre Vorstellungen nicht auf der Stelle ausverkaufen. Von jener Generation um die dreißig, die in den letzten zwei Jahren Teile des Staatstheaters erfolgreich besetzen konnte, fehlt jede Spur.
In Frankfurt holten diese Vergessenen zum Gegenschlag aus und organisierten sich mit der Experimenta 7 ihre eigenen Maifestspiele; in Berlin war man sicher dankbar, denn so hatte man ein Thema für die obligatorischen Sonntagsdiskussionen. Noch dazu ein Lieblingsthema: der Generationenkonflikt. Um die Fronten klar zu machen, saßen auf dem Podium links vom Moderator die Experimenta-Teilnehmer, während rechter Hand die Restaurationsfraktion hockte. Beste Voraussetzungen für einen Frontalangriff und dann das: große Einigkeit. Alt/jung, Pop/Klassik – nichts als Phantomdiskussionen.
Dass ausgerechnet Torsten Maß diesen Begriff ins Spiel brachte, war recht unglücklich, schließlich hatte er als Leiter des Theatertreffens die Diskussion zum Thema ins Programm gehoben. Dann aber, gleich zur Einleitung, Luftblasen: „Es gibt nicht altes oder junges Theater, es gibt nur gutes oder schlechtes.“ Das ist so wahr, wie es falsch ist, und entspricht praktisch dem Erkenntnisgehalt von „Es gibt nicht Männer oder Frauen, es gibt nur Menschen“. Indem Kategorien gegeneinander ausgespielt werden, die gar nicht ausschließend sind, wird Differenz scheinbar logisch zum Verschwinden gebracht. Selbstverständlich ist das Entscheidende, ob eine Inszenierung gut oder schlecht ist – wer aber nicht sieht, dass es momentan ein junges Theater gibt, das sich extrem unterscheidet von dem, was unsere Bühnen lange beherrscht hat, muss blind sein. Und wer kein Interesse daran hat, diese Unterschiede zu analysieren, sollte nicht auf dem Podium sitzen.
Trozdem saßen alle da, in schönster Harmonie. Peter Iden, Kritiker und Vorsitzender der Jury, konnte sie gar systemimmanent begründen: Das Theater sei „doch geradezu ein gesellschaftliches Modell für das Miteinander“. Wolfgang Wiens, Dramaturg an der Wiener Burg, hält das Jung/Alt-Gerede genau wie das von der politischen Relevanz für eine argumentative „Fliegenklatsche“ der Einäugigen: „Wir sind keine Tageszeitung. Theater muss auch museal sein dürfen.“
Die linke Podiumshälfte setzte dem nichts entgegen. Christina Paulhofer kann weit und breit kein Alt/Jung-Problem ausmachen; sie sähe eher, dass deutsche Männer Probleme mit dem Altern hätten. TAT-Dramaturg Bernd Stegemann versuchte, einen ähnlichen Gedanken für die Diskussion fruchtbar zu machen, indem er betonte, Generationen würden sich nicht über Geburtsdaten, sondern über ein gemeinsames Problem definieren, „und das Problem aller nach 1965 Geborenen ist, dass wir von den 68ern erzogen wurden“. Das interessierte aber keinen. Ebenso Nicolas Stemanns zaghafter Vorstoß, doch mal – hey! – über Ästhetik zu sprechen: „Der Unterschied ist, dass wir mit medialer Vermittlung aufgewachsen sind. Im Theater hören wir ständig das Betriebsgeräusch und probieren auch nicht, es zu vertuschen, dass da Menschen auf der Bühne stehen und schwitzen.“ Hier hätte man ansetzen können, zum Beispiel kommentierende Stücke versus Schauspielertheater zu diskutieren. Stattdessen ein bravouröses Schlusswort von Torsten Maß: „Das ist Theater: nicht Entweder-Oder, sondern Sowohl-als-auch.“ Womit diese wie alle kommenden Diskussionen überflüssig wären.
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