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Wahlchaos – eine lässliche Sünde

Überfüllte Wahllokale, die bis zum frühen Morgen offen hielten, Wähler, die sieben Stunden lang anstehen mussten: Italiens Innenministerium hat bei der Organisation der Wahl brillant versagt

ROM taz ■ Italiens Innenminister Enzo Bianco war der Flotteste. Er tat, was hochrangige Politiker sonst tunlichst unterlassen: Am Sonntag Punkt 22 Uhr – auf die Minute zur Schließung der Wahllokale – stand er schon vor dem Pulk der Journalisten, um eine Erklärung loszuwerden. Was kam, war allerdings kein mutiger Schnellschuss zu den Wahlergebnissen. Stattdessen gab's eine dröge Erklärung, dass mit Resultaten erst mal nicht zu rechnen sei.

Denn statt Schließung hieß es in den meisten Wahllokalen vor allem der großen Städte: Wegen Überfüllung geöffnet. Tausende Wähler blieben bis spät in die Nacht auf den Beinen, hunderte Polizisten mussten die Warteschlangen vor den Schulen verwalten; der Rekord wurde in Réggio di Calábria erzielt, wo der 51-jährige Antonio Suraci als letzter wahlwilliger Staatsbürger um 4 Uhr morgens endlich die Stimme abgeben konnte. Bloß sieben Stunden hatte er in der Schlange warten müssen. Niemand hatte auf die Wahlbenachrichtigung die eigentlich fällige Aufforderung geschrieben: „Bequemes Schuhwerk mitbringen“.

Minister Bianco war um eine Erklärung nicht verlegen. Die hohe Wahlbeteiligung sei Schuld. So peinlich wie das Chaos war auch die Ausrede; am Sonntag wählten 81,3 Prozent der Bürger statt 83 Prozent vor fünf Jahren. Das Desaster war ausschließlich hausgemacht: Erst hatte der Staat sparsamkeitshalber die Wahllokale von 90.000 auf 60.000 zusammengestrichen, und dann wurden auch noch – der Staat denkt halt immer an den Geldbeutel der Steuerzahler – die Parlamentswahlen in zahlreichen Großstädten mit den Kommunalwahlen zusammengelegt.

So wurde das Wählen zur Geduldsprobe mit stundenlangen Wartezeiten – und nach 23 Uhr zum Narrenstück. Zehntausende hatten ihre Stimme noch nicht abgeben können, während auf allen Fernsehkanälen schon fröhlich über Trends und Exit-Polls debattiert wurde. Doch das war bloßer Zeitvertreib, der sich hinzog: Erste verlässliche Hochrechnungen waren erst gegen 3 Uhr früh zu haben.

Dass die Wahl vor diesem Hintergrund erfolgreich angefochten werden könnte, glaubt dennoch niemand. Wählen bis zum Abwinken ist in Italien durchaus legal – solange die Bürger sich bis 22 Uhr am Wahllokal eingefunden haben. Die Tatsache dagegen, dass die Wahl und ihre Kommentierung am Ende parallel verliefen, widerspricht zwar eklatant der Norm, die Wähler dürften im Abstimmungsverhalten nicht beeinflusst werden. Aber zur Aufhebung des Wahlergebnisses wird das kaum ausreichen; es darf damit gerechnet werden, dass die chaotische Wahlnacht als lässliche Sünde zu den Akten gelegt wird. MB

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