: Flüchtlinge brechen Bewegungsverbot
2.000 Asylbewerber werden heute bewusst gegen die so genannte Residenzpflicht verstoßen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Die Reaktion der Polizei auf die massenhafte Ordnungswidrigkeit blieb noch offen
Die Ausländerkriminalität in Berlin könnte heute statistisch gesehen enorm ansteigen. Denn bis zu 2.000 Flüchtlinge aus dem ganzen Bundesgebiet werden ohne Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörden an den Aktionstagen gegen die Residenzpflicht teilnehmen. „Wir wollen zeigen, dass ziviler Ungehorsam gegen ein Gesetz, das das Grundrecht der Bewegungsfreiheit einschränkt, legitim ist“, sagte Gaston Ebua, Sprecher der Flüchtlingsorganisation The Voice e. V. bei einer Anhörung der PDS im Abgeordnetenhaus.
Kaum einer der Teilnehmer hat für das Verlassen seines jeweiligen Landkreises eine Sondergenehmigung beantragt. Damit begehen die Flüchtlinge eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 5.000 Mark geahndet wird. Bei Wiederholung wird aus der Ordnungswidrigkeit eine Straftat, die mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder Abschiebung bestraft wird. „Für die Aufzugsteilnehmer gibt es keine Ausnahme von gesetzlichen Verpflichtungen“, drohte gestern ein Polizeisprecher. Der Sprecher der Innenverwaltung, Ulrich Romer, kündigte dagegen an, die Polizei werde „mit Augenmaß“ und „unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit“ handeln.
Die dreitägigen bundesweiten Aktionstage auf dem Schlossplatz beginnen heute mit einer Demonstration zum Reichstag. Dort soll den Bundestagsabgeordneten ein Memorandum für die Abschaffung der Residenzpflicht überreicht werden. Die Aktion wird von 252 Organisationen sowie prominenten Einzelpersonen wie der Schauspielerin Katja Riemann, dem TV-Moderator Roger Willemsen oder dem Verleger Harry Rowohlt unterstützt.
Die Residenzpflicht gibt es seit 1982. Danach werden Asylbewerber einem Landkreis zugeteilt und müssen dort bleiben. Ausnahmen gewähren die Ausländerbehörde nur in begründeten Fällen. Für die meisten Sachbearbeiter ist der Besuch bei Freunden und Verwandten oder die Teilnahme an einer Veranstaltung kein solcher Grund. „Psychologische Folter“ nennt Christopher Nsoh von The Voice daher die Residenzpflicht. Hartwig Berger, flüchtlingspolitischer Sprecher der Berliner Grünen, bezeichnet das Gesetz als „die Spitze des Eisbergs der Diskriminierung“. Die PDS-Bundestagsfraktion hat gegen die in Europa einzigartige Regelung einen Vorschlag zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes entworfen, der noch diese Woche dem Parlament vorgelegt werden soll. Berger forderte auch die Bundestagsfraktion seiner eigenen Partei dazu auf, einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.
Ob es überhaupt Bundestagsabgeordnete gibt, die heute die Delegation der Flüchtlinge in Empfang nehmen, stand in den Sternen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat nach Angaben eines Flüchtlingssprechers bereits abgesagt. „Zur Not schmeißen wir das Memorandum zur Abschaffung der Residenzpflicht in den Briefkasten“, sagte ein Delegierter. KBI/SAND
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