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Vergesst den Infostress!

Warum ich aus der Wissensgesellschaft aussteige: Steht doch alles schon im Internet

Es gibt Leute, die wissen immer nur das Falsche. Oder oft nicht das Richtige. Ich zum Beispiel.

Ich erinnere mich, wie ich vor Jahren bei einem Nachrichtensender arbeitete. Der blasierte, mobbende Chefmoderator hatte ein Verhältnis mit einer der Assistentinnen im Newsroom. Alle wussten es. Bis auf mich. Ich hatte zwar ein luftiges Gefühl der Grenzüberschreitung in der Magengrube, sprach aber dennoch eines Abends vor dem Monitor im Newsroom das aus, was viele dachten: „M. schafft es, auch noch auf dem Bildschirm wie ein aalglattes Arschloch rüberzukommen.“ Die aufkommende Stille konnte ich erst später deuten.

Meine allzu kurze Zeit bei dem Sender lehrte mich vor allem eines: Nichts ist wichtiger, als immer das Richtige zu wissen. Alles andere kannst du vergessen. Was aber ist das Richtige Wissen? Die Frage beschäftigte mich fortan. Ich war in der Wissensgesellschaft angekommen. Vorbei war es damals mit der Unbeschwertheit der früheren Jahre. Damals konnte ich mich noch in Ruhe dem Problem widmen, ob das Reale nicht doch nur die genetische Verkleinerung des Imaginären sei, am Beispiel der New Yorker Graffiti. Auch durfte ich mich mit den Besonderheiten der Irrenanstalten im 19. Jahrhundert vertraut machen, ohne dass ich mir vorwerfen musste, meine Zeit zu verschwenden. Das war nun vorbei. Ich fahndete wie alle anderen nach dem einen, dem Richtigen Wissen.

Um die Suche zu vereinfachen, hielt auch ich mich bald an die öffentlichen Vorschläge: Wirtschaft! Hochtechnologie! Internet! Man hatte sich geeinigt. Alles passte: Die Finanzpresse boomte, die Aktien stiegen, die Internetbranche gab Interviews, die Journalisten erfanden die Informationsgesellschaft.

Das hätte mich schon misstrauisch machen müssen: Wenn ausgerechnet Journalisten die Informationsgesellschaft ausrufen, dann ist das so, wie wenn die Gaststättenbranche plötzlich behauptet, zu Hause essen sei out und Kochen bald nur noch als bezahlte Dienstleistung gesellschaftsfähig. Niemandem fiel dieses Zusammentreffen auf.

Es kam, wie es kommen musste: Erst stiegen die High-Tech-Aktien, dann fielen sie wieder. Die Finanzpresse verlor an Auflage. Ähnliches passierte mit den Internetunternehmen: Die Gewinnwarnungen mehrten sich, Jobs und Firmen verschwanden. Wirtschaft? Hochtechnologie? Internet? Alles Lüge.

Das Richtige Wissen ist nämlich immer nur das, von dem bestimmte Leute zu einem bestimmten Zeitpunkt glauben, dass es viele andere in Zukunft auch haben wollen. Funktioniert wie der Aktienmarkt.

Genau, alles Psychologie!, rufen jetzt die Anhänger von „behavioural finance“ (gucken Sie gefälligst im Internet nach, was das ist). Psychologie gehört heute zum richtigen Wissen.

Auch mein nach New York ausgewanderter Freund Simon spricht neuerdings nicht mehr so viel über die Vernetzung von Datenbanken, sondern mehr über die Imagestrategien in seinem IT-Großunternehmen. Schließlich sei der Aufstieg eines Managers nur zu zehn Prozent auf seine fachlichen Qualitäten zurückzuführen. Der Rest sei Imagepflege, zitiert Simon eine neue US-Studie und gibt mir gleich ein paar Tipps: „Geh lieber nicht mit Leuten essen, die auf der Abschussliste stehen. Erwecke bei deinem Boss immer den Eindruck, dass ausgerechnet dein Projekt die Wertschöpfung erheblich steigern wird.“ Simon und ich sind zu Klatschbasen geworden. Und das in der Wissensgesellschaft!

Vom Internet bin ich sowieso enttäuscht. Zugegeben, ich hatte mir vom Netz heimlich ein paar persönliche Vorteile erhofft. Es war so praktisch: Nur ein Suchwort eingeben, schon zeigte sich mir das Weltwissen in seiner ganzen Vielfalt und ich konnte so tun, als hätte ich alles in Büchern gelesen oder gar vor Ort selbst erlebt. Doch die Sache hat einen Haken: Die Kollegen machen es sich genauso bequem wie ich. Es gibt keinen Konkurrenzvorteil. Das ist verdrießlich.

Es kommt noch schlimmer: Nicht nur Journalisten, jeder, der „Yahoo“ buchstabieren und ein bisschen Aufsteigerenglisch beherrscht, hat inzwischen Zugang zum gleichen Wissen wie ich. Mein Job ist nichts mehr wert. Deswegen muss ich aussteigen aus der Wissensgesellschaft!

Der US-amerikanische Bestsellerautor Christopher Meyer weist mir den Weg. „Fachwissen veraltet schnell“, sagt Meyer. Das Wichtigste sei, „Menschen inspirieren zu können“. Und das lerne man an einer Schauspielschule besser als an einer Business School. „Ich würde den jungen Leuten empfehlen, eher mit Schauspielern zusammenzuarbeiten als mit Ingenieuren.“ Schauspieler! Das ist es. Oder vielleicht Schlagersänger? Ich wechsle auf jeden Fall ins Showgeschäft. Bevor alle auf die gleiche Idee kommen. Oder hab ich mal wieder was nicht rechtzeitig mitgekriegt?

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