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Gummi im Ring

Der „Brutalismus“ in der Architektur und die Folgen: Arbeiten von Tom Burr in der Galerie Neu

von MICHAEL KASISKE

„Brutalism“ bezeichnete einmal eine reformerische Bewegung in der Nachkriegsarchitektur, wenn auch von Beginn an mit unterschiedlichen Definitionen. Seine Protagonisten Alison und Peter Smithson erklärten lakonisch am Beispiel von Autotypen der frühen Sechzigerjahre: „The E type Jaguar, the jeep, the Deux Cheveaux and the DS 19 are all Brutalist cars“. Und der Architekturtheoretiker Reyner Banham stellte im Untertitel seines Buches „Brutalismus in der Architektur“ provozierend die Frage: „Ethik oder Ästhetik?“

Mit einer Symbiose beider Begriffe knüpft Tom Burr in der Galerie Neu konzeptionell an den historischen Begriff an. Im Mittelpunkt steht die Skulptur „Quartered“, eine vollkommen in Schwarz getränkte und viergeteilte Sparringsarena. Hier ist der ethische Link zur brutalistischen Architektur, wobei die von den Architekten idealistisch zur Schau gestellte Rohheit in der Retrospektive von Burr anders gedeutet wird: Er folgert aus ihrer antiurbanen Ausstrahlung auf soziale Verwerfungen und Konfliktpotenziale bei den Bewohnern.

Einen Schritt weiter gedacht, soll „Quartered“ nichts anderes als die Veranschaulichung einer Möglichkeitsform von Gewaltausbrüchen sein. Eine solche Konstruktion könnte von dem Besuch eines britischen Sozialkitschfilms von der Machart eines „Like it is“ angeregt worden sein. Die Flucht aus dem Dilemma sozialer Unbilligkeiten durch Boxen als heroische Geste zu visualisieren, erscheint jedoch auch bei Burr als unzulässige Banalisierung komplexer Situationen.

Die Skulptur erinnert vordergründig an Minimal Art, die Burr mit einer applizierten Sockelleiste bereits diskret unterwandert. Das subversive Element ist freilich die Interaktion: Zwischen die Würfel getreten, legt der Besucher die Arme darauf, spürt die Gummioberfläche und beobachtet aus dieser legeren Position das Geschehen im Raum. Ist es diese irgendwie abwartende Haltung, ist es das stumpfe Schwarz, das den Backroom einer Schwulenbar assoziiert? Ist es die Spiegelung des Unterkörpers bis zur Taille?

Vielleicht ist der Weg durch die Skulptur eine Wiederaufnahme der „Desire Paths“, jenen Arbeiten Burrs in New York und Zürich, in denen er die Struktur öffentlicher Parks in Hinblick auf ihre Aneignung durch Schwule untersucht.

Auf den beiden gegenüberhängenden Paneelen fällt auch eine Fixierung auf die Virilität des Doors-Sängers Jim Morrison ins Auge: Leder, kämpferische Posen. Hinsichtlich der Skulptur bleiben die scheinbar beiläufig arrangierten Fotografien oder Zeitungsausschnitte aus verschiedenen Perioden des Musikers in Konfrontation mit solchen vom (spät-)brutalistischen „Knights of Columbus Building“ in Burrs Geburtsstadt New Haven allerdings völlig eigenständig.

Der Überschuss an konstruierten und rekonstruierten Bezügen ist ein Merkmal der Arbeiten Burrs. In dieser Ausstellung zerfällt sein Sampling allerdings in disparate Fragmente, die eine „brutale“ Wirkung im Sinne eines direkten und unverklärten menschlichen Verhaltens als Ausgangspunkt haben – fraglich, ob das nun ein Kampf oder einfach Vergnügen ist. Wer freilich den Terminus der Architekturgeschichte sucht, findet anhand der Galerie Neu unvermutet eine zeitgenössische Interpretation: Das Ausstellungsgebäude hat Details wie die alten Jaguars, ist simpel wie der Geländewagen und bietet ein besonderes Raumerlebnis wie im französischen Zukunftsinterieur der Sechzigerjahre.

Bis 16. Juni, Dienstag bis Freitag von 11–18 Uhr, Philippstraße 13, Mitte

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