: Saurier der Dienstleistung
Lohnarbeit macht den Menschen zum Hund, aber mit Kühltruhen und Worten kann er zurückbeißen: Die Uraufführung von Dea Lohers Tragikomödie „Der dritte Sektor“ am Hamburger Thalia Theater
von KLAUS WITZELING
Im Finstern hadert Martha mit ihrem Herrgott. Mit Lähmung geschlagen, fordert ihn die Köchin mit Worten heraus: „Segne mich, du Schlappschwanz!“ Doch der allmächtige Ungerechte verpasst ihr ein Hüftleiden und macht sich aus dem Albtraum davon. Mit der höhnischen Genesis-Paraphrase – die Schöpfung als Ursache ewigen Lebenserleidens – eröffnet Dimiter Gotscheff auf der Studiobühne des Thalia Theaters in Hamburg-Altona die Urauführung von Dea Lohers neuem Stück „Der dritte Sektor“.
Widerreden führen die meisten Hauptfiguren der Dramatikerin. Sie kämpfen mit Sprache gegen das gemeine, hinterhältige Leben. Sie artikulieren ihren Widerstand gegen die persönliche Verfassung und die Verhältnisse, die sie nicht überwinden können. Ob es sich um Adam Geist aus dem gleichnamigen Stück handelt, Blaubart oder Klara aus „Klaras Verhältnisse“, im vergangenen Jahr ebenfalls am Thalia Theater uraufgeführt. Oder jetzt um Martha, die Schneiderin Anna, die Putzfrau Xana und den Chauffeur Meier Ludwig. In der Tragikomödie aus dem Dienstbotentiefparterre der Gesellschaft rechnen Martha und Anna wenigstens mit ihrer irdischen Herrschaft ab: Nach lebenslangem Ducken und Schweigen mucken sie gegen die reiche, vermutlich tote Bierbrauerswitwe auf. Die ruht in der Tiefkühltruhe und lässt von Zeit zu Zeit ihre Stimme hören. Als ob sie noch immer das Sagen oder Singen hätte über ihr Sklavenquartett, bis zur letzten gekrähten Koloraturnote.
Gottscheff inszeniert die Rache-Arien des Schreckschraubenduos als ein hässliches und unheiliges Requiem. Als eiskalte Abrechnung mit dem Lohndienstleben beim Auftauen alter Erinnerungen. „Das ist keine Arbeit. Das ist Dienst“, blafft Hildegard Schmahl unter grauer Billigperücke. Hass kettet das Küchenmonster und Almut Zilchers nähende „Brillenschlange“ aneinander. Sie verachten im anderen sich selbst, weil sie in ihm das eigene verpfuschte Leben erkennen. Schmahl und Zilcher schenken sich nichts, machen einander das Unerträgliche noch unerträglicher: glucksen in sattem Hohngelächter, erstarren in stummen Schreien, ersticken fast an Tränen, fallen wie Bestien kratzend übereinander her: Dinosaurier des dritten Sektors. Vertiert in tierischer Ausbeutung.
Was den beiden Monstern geblieben ist, ist die Sprache. Sie erblühen noch einmal zu destruktiver Vitalität im verbalen Schlagabtausch, den Loher voll schwarzen Humors aufbaut zu einem Vernichtungskampf. Dem Chauffeur (Markus Graf) lässt sie kaum Worte. Er brummt nur mehr wie sein Auto. Oder wie sein Hund, dem er beim dienstfertigen Kriechen ähnlich geworden ist. Annas hypochondrische Hundephobie ist der Ausdruck ihrer panischen Abscheu vor diesem Sein. – Andererseits: Der verstummten Putzfrau auf der untersten Stufe der Hackordnung helfen die Worte, das Schlimmste zu ertragen. Ihrer inneren Stimme gibt Victoria Trauttmansdorff eine ironische und lichte Heiterkeit. Sie erzählt das moderne Sterntaler-Märchen vom bitterarmen Mädchen, dem nichts geblieben ist als das Krümelchen Gottvertrauen – und das Leben. Auch das schenkt sie weg, greift sich dazu aber eine Flasche Tomatenketchup aus der Tiefkühltruhe. Das Blut soll hübsch spritzen.
„Alle meine Stücke sind Tragödien. Sie werden nur komisch durch das Unheimliche.“ Was Ödön von Horváth über seine Dramen sagt, stimmt auch für Loher. In ihren Bühnenarbeiten ist sein Vorbild zu spüren. Auch das inspiratorische Umfeld der Marieluise Fleißer. Oder Thomas Bernhards und Werner Schwabs. „Die wirklichen Dramatiker kommen doch alle aus dem süddeutschen Raum.“ Ein selbstironischer Scherz der in Berlin lebenden Autorin, doch es ist etwas Wahres daran. Sie alle kämpfen mit Werken gegen die Enge gebirgiger Landschaft und die Lebensfeindlichkeit rigider Gemeinschaften. Gegen den Konservatismus und den Katholizimus. Und sie schöpfen aus dem Dialekt. „Sprache hat eine große Kraft“, sagt die Schriftstellerin, die über das Prosaschreiben und die Begegnung mit Heiner Müller zum Theater fand. „Ich habe das relativ spät gemerkt.“ Sie weiß jetzt, dass sie der Mundart ihrer bayerischen Heimat vieles verdankt: „Das ist ein anderes Denken, in den Windungen total hinterfotzig. Was im Hochdeutschen so nicht funktioniert.“ Andererseits erschien es ihr – ähnlich wie Horváth – notwendig, sich Distanz zum Dialekt zu schaffen. Durch eine Kunstsprache.
Im neuen Stück erreichen die Worte Lohers manchmal die Wucht von Steinwürfen. Und Gotscheff bringt sie mit der Seelenruhe, dem ungerührten Humor eines Profi-Bestatters zum Fliegen und zielsicheren Treffen. Er arrangiert mit Achim Römer eine theatralische, doch sachliche Aufbahrung: Auf dem Laufsteg zwischen den Zuschauern ist ein Samtvorhang drapiert. Ein kleines Kasperltheater des (Kunst-)Todes. Wo aus dem eisigen Sarg der falsche Gesang von Florence Foster Jenkins fiept, der bizarren „Diva“, die sich mit ihrem Erbe leisten konnte, die Regeln der Kunst außer Kraft zu setzen.
Anstelle eines neuen Stückes plant die Hausautorin des Thalia Theaters mit Regisseur Andreas Kriegenburg für die kommende Spielzeit die Präsentation von kurzfristig entstandenen und geprobten Texten im Abstand von sechs Wochen. „Ich will alltägliche Einfälle und Erfahrungen verwenden, die für ein großes Stück nicht ausreichen.“ Dabei gehe es nicht um Aktualität als Selbstzweck. „Ich will schnell reagieren können und frei sein für das Experimentieren mit Themen und Formen.“ Sie werden mit Sicherheit weiterhin um die Kriegszustände in der Gesellschaft kreisen. In der Familie. In der Liebe. Und vom Unglück des Lebens erzählen und dem Glück, darüber doch lachen zu können.
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