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„Uns gehen die Arbeitskräfte aus“

Seit Donnerstag ist der Weg für ein höheres Kindergeld frei. Eltern mit Kinder sollen monatlich 300 Mark erhalten. Mehr Kindergeld ist fein, wird die Lust auf mehr Kinder aber kaum steigern, vermutet Familienforscher Wassilios Fthenakis

Interview HEIDE OESTREICH

taz: 30 Mark mehr Kindergeld sind viel zu wenig, heißt es. Stimmt denn die Rechnung: Mehr Kindergeld gleich mehr Kinder?

Wassilios Fthenakis: Die Daten sprechen eher für das Gegenteil. Wer finanziell weniger gut gestellt ist, hat häufiger Kinder. Kinderlose sind bei den besser Verdienenden am ehesten vertreten. Mit finanziellem Anreiz wird man zwar den einen oder anderen für ein Kind begeistern können, doch das wird keinen Einfluss auf die Bevölkerungszahl haben.

Warum bekommen die Leute keine Kinder mehr?

Die überwiegende Mehrheit bekommt ja noch Kinder, besser gesagt: ein Kind. Ist das erste Kind da, sind die meisten Eltern noch felsenfest davon überzeugt, dass sie ein zweites haben wollen. Wenn man aber drei Jahre später wieder nachfragt, ist diese felsenfeste Überzeugung schon zu einem erheblichen Teil erschüttert.

Da hat man dann einschlägige Erfahrungen gesammelt . . .

Ob Frauen ein zweites Kind bekommen, hängt davon ab, ob sie den Umgang mit dem ersten Kind als bereichernd und befriedigend erleben, und zweitens, welche Entlastung sie von ihrem Mann bei der Bewältigung dieser Aufgabe bekommen. Die Belastung der Frau im Umgang mit dem ersten Kind wird häufig als übermäßig groß empfunden. Deshalb entscheiden sich letztlich nur noch 60 Prozent dieser Familien für ein zweites Kind.

Einige Bundesländer wollen Ganztagsschulen einrichten . . .

Das wird kaum ausreichen. Die Entscheidung für ein zweites Kind treffen 80 Prozent der Familien etwa zwei bis drei Jahre nach der Geburt des ersten Kindes. Das heißt, die Entlastung muss unmittelbar nach der Geburt des ersten Kindes anfangen. Wir brauchen qualifizierte Betreuungssysteme für Kinder unter drei Jahren.

Viele Eltern mögen ihre Kinder nicht so früh weggeben.

Eltern reichen im Allgemeinen für eine angemessene Bildung des Kindes nicht mehr aus. Denken Sie an die Einzelkinder, die Kompetenz im Umgang mit anderen Kindern gewinnen sollen. Moderne Bildungskonzepte gehen davon aus, dass die Bildung und Betreuung von Kleinkindern in den Einrichtungen und den Familien parallel verläuft: Die Kinder sollen das gleiche Konzept mit verschiedenen Personen durchspielen.

Sie wollen die Erziehung weitgehend verstaatlichen?

Ich bin kein Befürworter der Ganztagsbetreuung für Kinder unter drei Jahren. 20 Stunden pro Woche, wenn sie qualitativ hochwertig ist, kann man einem Kind mit Gewinn anbieten. Das ist keine „Verstaatlichung“.

Familienministerin Bergmann will Väter locken, sich mehr an der Erziehung zu beteiligen.

Das weist in die richtige Richtung. Aber die Familie ist finanziell nicht abgesichert, wenn die Väter nicht mehr arbeiten. In Schweden erhält der Erziehende 75 Prozent seines Gehalts weiter. Deshalb entschließt sich dort fast jeder zweite Vater dazu, die Erziehungszeit zu nehmen.

Für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familien braucht man Arbeitgeber, die sich darauf einlassen.

Die Beschäftigten als geschlechtslose Wesen, die mobil und flexibel sein sollten: Diese alte Philosophie werden sie nicht weiter verfolgen können. Uns gehen die Arbeitskräfte aus. Das zwingt Unternehmen, offener auf die Familien zu reagieren. Das ist der natürliche marktbezogene Wettbewerb der Kräfte, der die Unternehmen dazu bringen wird. Letztendlich haben die Familien das allein dadurch, dass sie weniger Kinder produzierten, selber provoziert.

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