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Gedacht ist nicht gesagt

Wort-Wirkungen erprobt: Schauspielhaus-Werkstatttage mischten neun Jung-Autoren mit Schauspielern und Regisseuren  ■ Von Petra Schellen

... also, zum Beispiel Beethovens Neunte: Eindeutig zu hoch gesetzt für Sopran und Alt sind da die Chorpassagen, sodass bei Erstproben zu der Sinfonie regelmäßig Stimmwanderungen in Richtung der tieferen Lagen stattfinden. Warum? War's ein Versehen, das Beethoven verleitete, eine derart massive Neudefinition des eigenen Stimmvolumens zu erzwingen? Hatte jemand sein Hörrohr manipuliert oder konnte der Jähzornige damals auch inwendig schon nicht mehr richtig hören?

Viele Rätsel. Und gefragt hat er vermutlich auch keinen – anders, als es während der vergangenen zwei Wochen neun junge AutorInnen während der Werkstatttage am Deutschen Schauspielhaus praktizierten, die mit je einem fertigen und einem unfertigen Text angereist waren. Angeleitet wurden die DramatikerInnen – Sönke Andresen, Mathieu Bertholet, Kristof Magnusson, Kristo Sagor, Andreas Sauter, Katharina Schlender, Anne Jelena Schulte, Anne-Kathrin Schulz und Bernhard Studlar –, die in der gestrigen Werkstattnacht angeprobte Szenen vorstellten, vom Dramaturgen Andreas Beck. Von der Berliner Hochschule der Künste, aber auch aus autodidaktischen Zusammenhängen kamen die AutorInnen, die mindestens einen Verlagskontakt vorweisen mussten und aus 50 Bewerbungen ausgewählt wurden.

„Wir wollten – wie es in anderen europäischen Ländern schon länger üblich ist – als erstes deutsches Theater die Arbeit an unfertigen Texten ermöglichen“, sagt Beck, „und dabei immer berücksichtigen, dass wir es mit erst entstehenden Stücken zu tun hatten.“ Und genau dies sei auch der Fall gewesen, berichten zwei der Beteiligten: „Es herrschte keinerlei Konkurrenzdenken“, sagt Anne-Kathrin Schulz, Studentin der Berliner Hochschule der Künste, die zwei Spielzeiten lang unter Leander Haußmanns Intendanz Dramaturgin am Bochumer Schauspielhaus war. Ihr erstes Stück wird im Herbst uraufgeführt.

Das Klima sei konstruktiv gewesen, betont auch Kristo Sagor, dessen Stücke bereits in Mannheim, Bochum und Braunschweig gespielt wurden. Nicht im stillen Kämmerlein und schon gar nicht in der Abgeschiedenheit eines drögen Uni-Hörsaals habe er die Werkstatttage durchführen wollen, betont Andreas Beck. „Ich wollte eine Situation schaffen, in der das Risiko für alle gleich groß ist.“ „Mit einem unfertigen Text in der Hand ist man natürlich verletzbar“, bestätigt Anne-Kathrin Schulz. „Man feilt ja noch und weiß nicht genau, ob die hochdurchdachten Sätze auch als gesprochene Texte funktionieren.“ Denn manchmal sei es nur eine Pause, die zweieinhalb Zeilen nach oben verschoben gehöre, um den Text – falls gewollt – sprechbarer zu machen. Hier hätten die SchauspielerInnen wertvolle Tipps gegeben – für die die Situation im übrigen auch neu war. „Sie lasen die Texte zum ersten Mal“, erklärt Beck, „und auf diese Situation kam es mir an.“ Die Idee scheint funktioniert zu haben: „Die Schauspieler stockten an Stellen, die ich gar nicht als holprig erkannt hatte oder fragten, was soll ich empfinden an dieser Stelle?“ Ein bisschen ertappt habe sie sich da manchmal gefühlt, erzählt Anne-Kathrin Schulz. „Und ich würde niemals behaupten, alle Unstimmigkeiten seien künstlerisch gewollt. Das wäre eine zu einfache Ausflucht. Die Wahrheit ist: Einige waren geplant, andere nicht.“ Offen sei die Diskussion zwischen AutorInnen, SchauspielerInnen und RegisseurInnen gewesen, „wobei natürlich Grundstruktur und Grundidee der Texte nicht infrage gestellt wurden“, sagt Kristo Sagor.

Wovon die Texte der beiden exemplarisch Befragten handeln? „In meinem Stück „der eigene raum“ darbt ein Selbstmörder in einer Art Vorhölle, aus der ihn Verwandte immer wieder herauszulocken versuchen. Aber man weiß nicht wohin: in die echte Hölle, den Himmel? Auf welcher Seite der Realität spielt das Stück überhaupt? Und sind es Engel oder Todesboten, die durch die Räume schweben?“

Mit der Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt befasst sich auch Anne-Kathrin Schulz' Text Silly Songs, der „eher eine Vision, ein Weiterdenken aktueller politischer Verhältnisse ist: Von drei Personen verlässt eine den gemeinsamen Raum, und der Rest des Stückes untersucht, wie das Zusammenspiel der Übriggebliebenen funktioniert.“

Aber über Inhalte reden wollen sie eigentlich nicht, auch nicht darüber, „für wen“ sie schreiben: Interessanter findet Sagor die Frage nach der Bereitschaft, die eigenen Texte zu verändern: „Früher hatte der Augenblick eine gewisse Divinität für mich; das Stück ist im ersten Durchgang so geschrieben, und so soll es auch bleiben. Inzwischen glaube ich, dass ich das, was hier angemerkt wurde, sehr wohl nochmal überprüfen kann: Die Fragen der anderen reißen letztlich für den Autoren nochmal eine Welt auf und vermitteln ihm einen anderen Blick auf sein Stück.“

Der Begriff der Partitur, in der man mit Notenversatzstücken wie er mit Worten und Sätzen jongliert, gefällt ihm besonders: „Manchmal waren es schlicht handwerkliche Dinge, die Verschiebung einzelner Worte, die zum gelungeneren Rhythmus des Stückes beitrugen.“

Ob die wichtigste Änderung letztlich das Kürzen war? „Naja“, sinniert Anne-Kathrin Schulz, „wenn man manche Stellen hört, denkt man schon, da bist du aber arg ausführlich gewesen...“

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