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Nie mehr Zweite Liga

Auf dem Heiligengeistfeld steigen 20.000 Fans mit dem FC St. Pauli in die 1. Bundesliga auf und wissen kaum, wohin vor Glück  ■ Von Gernot Knödler

Danny Weyel hat die größte Fahne von allen. Bestimmt sechs Quadratmeter hat er aus kleinen St. Pauli-Fahnen zusammengenäht. Wenn er sie schwenkt, sieht es aus wie eine Szene aus dem Bauernkrieg. Aber er kommt kaum dazu: Während des Spiels, weil auch die Leute hinter ihm auf dem Heiligengeistfeld was auf der Großbildleinwand sehen wollen, auf der das Drama vom Aufstieg des Kiez-Clubs in die Erste Bundesliga gegeben wird; nach dem Spiel auch nicht, weil er mit Jörg, Peter und Dirk „aus Hamburg-Schenefeld“ Freudentänze aufführen muss. „Ich bin stolz, dass Du mich zu einem St. Pauli-Fan gemacht hast“, wird er seinem Vater Jörg zujubeln, der sich seinerseits die Seele aus dem Leib brüllen wird, weil er nicht weiß, wohin mit seinem Glück.

Das Spiel und die Stimmung hinter dem St. Pauli-Stadion waren ein bisschen wie eine Beifalls-Rakete: zurückhaltender Start, wachsende Dynamik, großes Finale. Nach dem Debakel gegen Hannover 96 vor einer Woche mochte keiner so recht auf den Aufstieg wetten. Die SkeptikerInnen tragen ihre Hoffnung auf T-Shirts übern Platz: „Das Wunder von Bern, Das Tor von Wembley, Der Aufstieg von St. Pauli“ steht drauf.

Ob Sieg oder nicht, Danny und seine Freunde haben entschieden, dass sie auf jeden Fall feiern werden. „Sie haben 'ne tolle Saison hingelegt, selbst wenn sie den Vierten machen“, lobt Dirk Söhndel. Andere im Publikum scheinen es ähnlich halten zu wollen: Viele können nicht einmal so recht sehen, was auf der Leinwand vor sich geht, weil sie von der Sonne geblendet werden oder – wie die Frau mit dem Piratenkopftuch hinter der Gruppe – hoffnungslos zu klein sind, um auch nur eine Spielszene zu sehen. Egal. Was zählt, ist die Party!

Als zum ersten Mal der Ball für St. Pauli im Netz landet, kriegt immerhin die Hälfte der Menge sofort mit, dass Abseits gepfiffen wurde. Gleich darauf dürfen sie sich richtig freuen, als Dobravko Kolinger der Ausgleich gelingt. Ein Bierregen prasselt nieder. „Jetzt geht's lohos“, brüllt Danny. In der zweiten Halbzeit berennt Pauli hemmungslos das Nürnberger Tor. Jörgs Freundin sitzt zu Hause vor dem Videotext. Per Handy gibt sie durch, dass Mannheim führt. Allen ist klar, dass der FC gewinnen muss. Ein Tor genügt!

Als es fällt, dauert es einen Augenblick, bis die Masse es begreift. „Hast Du das Tor gesehen?“, fragt Danny. Dann hüpfen sich alle in die Arme. Die Menge singt „You'll never walk alone“ und hofft, dass der Schiedsrichter bald abpfeift. Sie brüllt und tobt, als ob es die Mannschaft hören könnte. Dann gehen bei den Fans auf der Leinwand die Arme hoch: St. Pauli spielt wieder in der Ersten Liga.

„Gegen den HSV, Alder“, staunt einer entrückt grinsend. „Bayern München ..., Dauerkarte“, phantasieren andere. „Das ist so geil, ey“, sagt Papa Jörg fassungslos. Eine Band spielt: „Das Herz von St. Pauli, das ist meine Heimat.“ Vier Stunden später soll hier die Mannschaft eintreffen. Es wird eine lange Nacht werden.

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