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Verbot der Oktave

■ Über musikalische Entwicklungen in Spanien aber auch in Deutsch-land erfuhr man viel auf dem Symposion des Instituto Cervantes

Die Schwerpunkte der Kulturinstitute hängen in der Regel von den Präferenzen ihrer LeiterInnen ab. Nun ist – nach dem Weggang von Betrand Espouy vom Institut Francais – wieder eine Persönlichkeit nach Bremen gekommen, von der wir erwarten können, dass sie sich in die Initiativen in Sachen zeitgenössischer Musik kräftig einmischen wird: Susana Zapke Rodriguez vom Instituto Cervantes. Zapke hat ihre Promotion zwar über mittelalterliche Musik geschrieben, was sie nicht an der Leidenschaft für zeitgenössische Musik hindert. Seit zehn Monaten ist sie hier, und schon fand in der dafür bestens geeigneten Galerie Katrin Rabus das erste kleine Symposion/Festival statt.

Etwas erstaunt musste Zapke zur Kenntnis nehmen, dass ihr Thema „Polifonía de Compositores“ – nämlich die Beziehung, bzw. Nichtbeziehung zwischen deutschen und spanischen Komponisten – offensichtlich fast niemand interessierte. Denn das knappe Dutzend Häuflein, das da zu einer ersten Gesprächsrunde zusammengekommen war, rekrutierte sich aus Presse und irgendwelchen Bekannten. Schade, denn die Besetzung war hochkarätig: die deutschen Musiktheoretiker Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, die spanischen, in Deutschland lebenden Komponisten Manuel Hidalgo und José Luis de Delás. Es liegt mir fern, Publikumsschelte zu betreiben, aber die, die nicht da waren, haben etwas versäumt. Und zwar paradoxerweise genau deswegen, weil so wenige da waren. Denn man rutschte sofort zusammen, Zapke als Moderatorin konnte lockerer mit der Änderung ihrer Konzeption sein. Denn die Geschichten wurden zwar lang, aber sie waren in dieser Länge wichtig.

Was zum Beipsiel der 1928 geborene Katalane José Luis de Delás von seinem „furchtbaren“ Land, das wohl für die meisten von uns, abgesehen von Flamenco, Franco und herrlichen Strände doch noch immer terra incognita ist, zu erzählen hatte, wie er „trunken vor Glück“ 1949 nach Paris ging und 1965 Bruno Maderna ein Stück von ihm in Darmstadt unterbrachte, ersetzte jede Diskussion. In Spanien, so seine These, gibt es überhaupt keine Kultur mehr: Nach einer Blütezeit im 15. und 16. Jahrhundert gab es im 18.Jahrhundert noch einen Antonio Soler, und im neunzehnten Jahrhundert verpasste Spanien jeglichen Anschluss, indem es weder den Einfluss der Aufklärung noch eine Industrialisierung gab. Das Spanien Francos war selbstredend auch nicht geeignet, diese Versäumnisse ins Positive zu wenden, im Gegenteil.

Delás sprach vor allem auch über die mafiöse Rolle von „Opus Dei“. Und politisch, meint er, hat sich bis heute nichts geändert: Ein staatstreuer Rundfunksender fördert staatstreue Komponisten, und bei der Nennung gewisser Namen, wie zum Beispiel auch den des wohl bekanntesten spanischen Komponisten Christobal Halffter, schüttelt es Delás kräftig. Mit dergleichen Kunst will er nichts zu tun haben, und deswegen ist er auch in Deutschland, einem Mekka der Neuen Musik, wie er sagt, geblieben. Das rief den fast dreißig Jahre jüngeren, in Granada geborenen Manuel Hildago auf den Plan, der zwar das heutige Spanien für demokratisch hält, aber auch keine Möglichkeit einer künstlerischen Existenz in Spanien sieht. Hidalgo scheint ganz andere Probleme zu haben: nämlich die Bedeutung seines Lehrers Helmut Lachenmann öffentlich wegreden zu müssen.

Aber auch ästhetisch gerieten Delás und Hidalgo sich in die Wolle: Hidalgo nämlich, der sich als „veralterter“ Komponist bezeichnete, ging verbal gegen die Übermacht der Struktur vor und beschwor die Intensität, den Augenblick der Klangerfindung. Dass das aber restaurative Folgen für die Ästhetik haben könnte, wie Delás anmerkte, gab Hidalgo zu, es sei ihm aber egal.

Ein anderer Geschichtenerzähler war Heinz Klaus Metzger. Er erinnerte an die Gründung und die Rolle der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, von denen die Spanier damals so magisch angezogen waren. Zu hören, dass dort 1950 der zweite Internationale Zwölftonkongress stattfand, auf dem das Verbot der Oktave mit einer Stimme Mehrheit entschieden wurde, wie das Orchester im selben Jahr in Darmstadt eine Aufführung von Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ verhindern wollte, sind Zeitzeugnisse von größter Spannung und Wichtigkeit.

Das Konzert wurde gespielt vom fabelhaften Ensemble Aventure aus Freiburg und geriet – wie konnte es anders sein – zu ästhetischen Wechselbädern. Manuel de Fallas hinreißend fetziges „Konzert für Cembalo und Kammerensemble“ (1923) folgten Klaus Hubers „Schattenblätter“ in der Fassung für Bassklarinette, Klavier und Cello, deren Zerbechlichkeit die Musiker wunderbar realsierten. Dann Manuel Hildagos „Nahezu stilles Auge des Wirbelsturms“: gekonnt und in jeder Hinsicht effektvoll der Versuch, durchaus bekanntes Material neu in Szene zu setzen. „Fandango“ von Halffter schließlich rief nur Schmunzeln bis Erheiterung hervor und provozierte eine angemessene Rezeption von Delás „Denkbild-kurze Schatten“ nach Texten des von ihm verehrten Walter Benjamin, ein geradezu mahnendes Beispiel für die Deutlichkeit der Verbindung von künstlerischem und politischem Engagement.

Die Tagung war randvoll, so dass man über so einige Seltsamkeiten – beispielsweise was das „Stundenbuch“ von Hans Otte, gespielt von Claudia Birkholz, in dem Programm zu suchen hatte oder auch, dass Metzger und Riehn in der zweiten Diskussionsrunde nicht mehr da waren, nachdem Halffter, Otte und Huber sowieso schon nicht erschienen waren – gern hinweg sah. Das kann man besser machen, aber das ist nicht essentiell. Wir freuen uns auf die nächsten Ideen und Veranstaltungen vom Instituto Cervantes.

Ute Schalz-Laurenze

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