: Die gleichförmigen Anziehpuppen
Dank einer Initiative des „Tagesspiegels“ und großzügiger Sponsoren dürfen Schüler zweier Klassen nun Schuluniformen tragen. Grüne kritisieren den PR-Gag, die Landesschülervertretung betont, dass die meisten Schüler keine Uniformen wollen
von ANTJE LANG-LENDORFF
In Berlin wird seit gestern wieder Schuluniform getragen. Zumindest in der 8a des Willi-Graf-Gymnasiums in Steglitz und der 10c der Heinrich-Ferdinand-Eckert-Hauptschule in Friedrichshain. Diese zwei Klassen beteiligen sich an einem Modellversuch des Tagesspiegels, dem Markenzwang in den Schulen mit einer Uniform entgegenzuwirken. Der Kaufhof am Alex staffierte die Jugendlichen mit je zwei Garnituren dunkelblauer Sportklamotten aus. Bis zu den Sommerferien werden Schüler und Lehrer nur noch einheitlich zum Unterricht erscheinen.
Wirkung zeigt die Aktion schon jetzt: Der Medienrummel versetzte die Kids bei der gestrigen Kleiderpräsentation in helle Aufregung. Begleitet von poppiger Diskomusik stolzierten die Uniformierten durch die Schulaula. Dabei sollte das Projekt eigentlich die Fixierung aufs Äußere reduzieren.
So einheitlich wie die Jugendlichen gekleidet waren, so einhellig äußerten sich Schulleiter, Tagespiegel-Mitarbeiter, Sponsor und Schulsenator Klaus Böger (SPD): Es sei ein ganz tolles Experiment. Der Kaufhof lässt sich den Spaß immerhin 22.000 Mark kosten. Der Schulleiter der Steglitzer Oberschule, Eberhard Jahn, hofft durch die Medienaufmerksamkeit zudem mehr Gelder in die Schule zu bekommen. Alle vertraten ihre Interessen.
Die Jugendlichen hielten als Anziehpuppen her – freiwillig natürlich. 24 von 26 Schülern der 8a hatten für das Experiment gestimmt. Punk Stefan war ursprünglich dagegen, doch er hat sich gefügt. Drei Tage vor der Show hat er sich zudem seinen roten Irokesenkamm abgeschnitten. „Weil ich mal eine andere Frisur haben wollte“, sagt er. „Und um bei der Show nicht ganz so aufzufallen“, gesteht er dann ein. Dabei wollte man laut Tagesspiegel mit dem Projekt gerade keine Gleichmacherei.
„Alles Image-Pflege“, kritisiert der Sprecher der Landesschülervertretung (LSV), Sebastian Schlüsselburg, die Aktion. Für die LSV sei der Versuch in keinster Weise repräsentativ, das Ergebnis somit nicht aussagekräftig für die Allgemeinheit. Von Uniformen hält er generell nichts, genauso wenig wie die Lehrergewerkschaft GEW. „Man muss den Jugendlichen beibringen, sich nicht an der Kleidung zu messen, statt sie zu uniformieren“, so eine Sprecherin. Noch deutlicher wurde Özcan Mutlu, schulpolitischer Sprecher der Grünen: Die Aktion sei „ein schwachsinniger PR-Gag“.
Trotz Modellversuch steht eine generelle Uniformierung gar nicht zur Debatte. Die Stadt hat dafür kein Geld. Und über Sponsoring ließe sich die Kleidung langfristig nicht finanzieren. Außerdem schätzt Schlüsselburg: „Die meisten Schüler bringen keine zehn Pferde in eine Uniform.“
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