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Tränen lache ich

betr.: „Senden ist Sein“ (Wir leben im Zeitalter des Politainments), taz vom 16. 5. 01

Habe gerade, in einer verregneten Kneipe sitzend, Andreas Dörner im Kulturteil gelesen – und da hält es mich nicht länger, muss alles stehen und liegen lassen, an den Rechner eilen, um zu jubeln: Seit vielen Jahren nicht mehr (selbst nicht in meiner Leib- und Magenpostille taz) durfte ich so unvorbereitet so geschliffene Satire genießen!

Absolut bewunderswert, wie der Autor, ohne sich zu verraten, den Leser über Höhen und Tiefen führt, dabei ganz en passant die „sozialwissenschaftliche Intelligenz“ als halbherzig-egomane Bedenkenträger entlarvt und dann gnadenlos dem Politainment die Maske vom Gesicht fetzt. Ich stelle mir vor: Guido Westerwelle, der im Container im „Feel-good-Modus den Entfremdungs- und Ablehnungstendenzen der weit verbreiteten Politikverdrossenheit“ entgegenwirkt, denke daran, wie die Talk-Kultur bei Vera am Mittag „Positionen und Konfliktlinien sichtbar macht“ – Tränen lache ich.

Brillant auch, wenn die Deutschen in der Thriller-Produktion der privaten Fernsehanbieter ihren Hang zur Simplifizierung überwinden und endlich zu echter Systemkritik finden (und folgerichtig bei „Der Preis ist heiß“ endlich zu einer alle Gesellschaftsschichten antizipierenden Kritik des Materialismus). Spätestens als ich an die „Aktionen zivilen Ungehorsams“ und „Formen des Insurrektionshandelns“ denke, die mich tatsächlich jedesmal beim „Reich und schön“-Gucken überkommen, ist’s endgültig aus mit der Fassung, und ich muss glucksend raus aus der Kneipe, in der ich den Umsitzenden ohnehin schon jeden zweiten Satz laut vorgelesen habe.

Also schicke ich euch jetzt noch schnell diese Mail, und dann begebe ich mich vor den Fernseher, um noch schnell ein wenig republikanisch-kritische und auf Veränderung zielende Identität aufzusagen, denn ich glaube, auf Pro 7 fängt gleich irgendeine Titten- oder Gameshow an. [...] STEPHAN RUDOLPH, Berlin

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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