piwik no script img

Im Schießhaus brennt noch Licht

Der Wachturm als Spiegelkabinett, die Camouflage als Sitzkissen: Unter dem Motto „Tarnung : Enttarnung“ wurden sechs Kunstprojekte zur Bundesgartenschau Potsdam 2001 eingeladen, die sich mit der Natur des alten Militärgeländes beschäftigen

von MICHAEL KASISKE

Die gemächlich schlendernden Besucher der Bundesgartenschau in Potsdam bleiben verdutzt stehen. „Hier baut die Firma Petit à Petit . . .“ lesen sie auf einem Bauschild am Rand des Parks, und weiter auf dem darunter stehenden Baucontainer „aus Ayorou (Niger) ein Hochhaus für ca. 45 Parteien“. Das Schild zeigt ein Bild im Aufbaustil der 50er-Jahre mit fünf Männern, die sich um einen Bauplan versammelt haben; daneben trumpft eine großspurig wirkende Musterfassade auf, den Hintergrund bilden tatsächlich soeben fertig gestellte Reihenhäuser.

Die Baustelle des Berliner Künstlers Andreas Siekmann erweist sich als Täuschung. Gleichwohl reflektiert sie mit dem assoziativen Bezug auf den Film „Petit à Petit“ von Jean Rouch, der die Geschichte einer gescheiterten Hochhausplanung erzählt, ironisch die Erwartungshaltung an das ehrgeizige Bauprojekt Bornstedter Feld, das rund um den Park der BUGA entwickelt wird. Der Ort war fast 250 Jahre lang ein Kasernen- und Truppenübungsgelände. Erst der Abzug der russischen Alliierten setzte 1994 die zivile Nutzung in Gang.

„Tarnung : Enttarnung“ lautet der programmatische Titel für die Kunstprojekte, die anlässlich der BUGA 2001 realisiert wurden. Siekmanns und fünf weitere Arbeiten sind 1999 aus 32 Teilnehmern ausgewählt worden. Die Jury sah in diesen Beiträgen die überzeugendste Darstellung der „Prozesse der Verwandlung zwischen Mimikry, Mimesis und Metamorphose“ verwirklicht.

Für die Bundesgartenschau wurden die ehemaligen Schießwälle abgetragen und als vermeintliche Relikte neu aufgeschüttet; anstelle der alten Sandpisten entstanden neue Wege; das einstige, von Verwerfungen geprägte Gelände wurde eben planiert. Jetzt ist es die Natur, die an diesem Ort künstlich daherkommt. Ganz anders die Kunst, die von der unmittelbaren Vergangenheit oder Gegenwart angeregt wurde und Situationen erzeugt, die partizipationsfreudige Betrachter aktiv werden lassen.

So hat die Gruppe BergWerk aus Potsdam für ihre Arbeit „Camofields – Volle Deckung“ über 200 Sitzkissen mit Tarnmustern bezogen, die sie aus aller Welt zusammengetragen hat. Die den jeweiligen Vegetationsformen angepassten Camouflage-Codes geben einen ebenso dringlichen wie ortsspezifischen Zusammenhang zwischen Natur und Militarismus wieder. Andere Werke sind das in Beton gegossene „K“ von Fritz Balthaus aus Berlin oder das „Basketballfeld“ der Berliner Künstlergruppe „inges idee“, ein die Unebenheiten und das Gefälle des vorhandenen Geländes überlagerndes Spielfeld. Am hinteren Ende des Geländes hat der Kölner Igor Sacharow-Ross seine Arbeit „Der Zaun“ fertig gestellt: Ein einst als Schießhaus genutztes Gebäude wird von einem haushohen Zaun umgeben und der Natur überlassen, die sich in Form wuchernden Efeus des Ortes bemächtigt. Leider verwässert der Künstler durch eine grüne, geheimnisvoll erscheinende Beleuchtung sein klares Konzept.

Die Fotoinstallation „Vergangene Orte – Orte der Zukunft“ wurde außerhalb des Wettbewerbs von dem Potsdamer Frank Gaudlitz konzipiert. Sie ist vom Auftraggeber als Sichtbarriere für noch unbebaute Randbereiche gedacht. Von großen, aufgespannten Fotoplanen schauen Soldaten des Kaisers, der Wehrmacht und der sowjetischen Alliierten auf ihr früheres Übungsgelände und verraten mit ihrer Haltung den systemunabhängigen Kanon militärischen Drills.

Eine Überraschung bietet der unscheinbare Wachturm am Rande des Waldparks. Statt irgendwelcher Spuren des letzten Postens, der sich auf der Aussichtsplattform langweilte, findet der Besucher ein Spiegelkabinett. Die Hamburger Künstlerin Annette Wehrmann hat ihren „Turm“ entkernt, bis auf die Fenster vollständig mit Spiegeln verkleidet und damit den gerade mal 2 x 2 x 6,75 Meter messenden Innenraum – wie in Spiegelsälen früherer Paläste – unendlich vergrößert. Doch nicht etwa ein Barock im aktuellen Gewand enttarnt sich hier, sondern der im Türrahmen stehende Besucher, der durch sein vervielfachtes Spiegelbild zurückverwiesen wird auf sich selbst.

bis 7. 10., BUGA-Park im Bornstedter Feld, Potsdam. Der Katalog, hg. von Elmar Zorn und Kai Vöckler, 29,80 DM, erscheint Ende Mai im Strauss-Verlag, Potsdam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen