: Gute Miene zum Pokalendspiel
Als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen ist Oliver Wittke Schalke-Fan von Amts wegen. Ein echter Traumjob?
Ob sie morgen wieder eine Kamera schicken, nur um sein Glück zu filmen? Das ZDF zeigte ihn schon vor zwei Wochen beim Fußballgucken in der Kneipe „Fliegenpilz“: Sein Torschrei soll für den Jubel einer ganze Stadt stehen. Oliver Wittke gibt also 90 Minuten den begeisterten Schalker und danach ein Statement im Aktuellen Sportstudio ab.
Den rechten Arm abhacken mit stumpfer Axt und dabei lächeln würden seine Kollegen aus allen Parteien, um eine solche Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu bekommen. Aber der Ortsvorsteher von Oberpfaffenhofen, der Bürgermeister von Wesel und der Regierende in Berlin werden eben nicht vom Sportstudio und von DSF angerufen. Das passiert nur Oliver Wittke, dem Oberbürgermeister von Gelsenkirchen. Das ist die Stadt, die zu ihrem Ortsteil Schalke gehört. Schalke. Sie wissen schon. 04. Beinahe Meister. Morgen Pokalsieger. Phänomen, Kult, Religion.
Und diese Saison war endlich wieder richtig gut: Junger Erfolg trifft alte Romantik, Bild schreibt vom „Meister der Herzen“. Und wenn sie außer dem grau melierten Manager mit Zigarre noch jemanden fotografieren, kommen sie zum 22 Jahre jüngeren OBM. Sein zweijähriger Sohn samt dessen S04-Mitgliedsausweis illustriert die Geschichten in den Sportzeitschriften. Besser kann es das Schicksal mit einem Lokalpolitiker nicht meinen.
Ist Wittke also ein „Sahneprinz“, wie sie im Ruhrgebiet Leute nennen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind? Darin zumindest hat er Erfahrung als jüngster Oberbürgermeister (35), der je eine deutsche Großstadt regierte. In der CDU war er nur eine Verlegenheitslösung, weil niemand gegen die scheinbar übermächtige Ruhrgebiets-SPD antreten wollte. Der Wahltermin fiel zufällig mitten in die rot-grüne Krise im Herbst 1999. Wittke gewann spektakulär mit 123 Stimmen Vorsprung in der Stichwahl. 43 Jahre absolute Mehrheit für die SPD im roten Gelsenkirchen. 43 Jahre kein neuer Triumph in der Bundesliga für den Deutschen Meister von 1933, 1934, 1937, 1939, 1940, 1942 und 1958. Seine sozialdemokratischen Vorgänger haben – wenn überhaupt – Zechensterben und Hüttenschließungen kommentieren dürfen, Wittke sonnt sich in einer Erfolgsstory, mit der er eigentlich nichts zu tun hat.
Also täglich Schalke, Schalke, Schalke. „Zur Zeit meine Hauptbeschäftigung“, sagt der Hobbyjäger mit ovaler Brille, den man sich nicht wirklich auf einem Fußballplatz vorstellen kann. Eigentlich will er von seiner Stadt auch ein anderes Bild vermitteln als das der Schalker Malochertugenden. Das einzige Bergwerk, das der „Stadt der 1.000 Feuer“ geblieben ist, steht schon halb über der Stadtgrenze. Und was machen die Schalker jedes Jahr? Eine Grubenfahrt mit Fototermin. So etwas kommentiert Wittke nicht, aber am liebsten möchte er wohl den Fußballmillionären den Kohlenstaub aus dem Gesicht wischen: „Wir müssen wegkommen vom Rußimage!“ Das Gelsenkirchen von heute zeichne sich doch nicht nur durch das intakteste Fußballmilieu aus, sondern auch durch Deutschlands modernste Solarfabrik und einen futuristischen Wissenschaftspark. Will leider kaum jemand sehen. Dagegen soll sich für eine Besichtigung der „Arena auf Schalke“, die noch gar nicht fertig ist, sogar der Oberbürgermeister beim Verein vorher anmelden. Die Arena findet Wittke „uneingeschränkt toll“, dort findet am 1. September „die größte Opernaufführung auf dem europäischen Kontinent“ statt. Aida auf Schalke. Mit lebenden Pferden. Manchmal scheint Wittke ein wenig säuerlich zu lächeln, wenn er für Fotografen einen Schalke-Ball auf der Stirn balanciert. Hat er im Hinterkopf die „Forschheit“ von Schalker Offiziellen, die seine Pläne für eine Meisterschaftsfeier öffentlich als „dummes Geplapper“ abtun und die Stadt als „Sozialhilfeempfänger, der die Hand aufhält“? Arroganz sei heute bei Großunternehmen nicht unüblich, deutet der CDUler Wittke an: „Wenigstens kann Schalke nicht seinen Firmensitz verlegen.“
Zu laut sagt Wittke dies natürlich nicht. Es gibt nämlich Konkurrenz: Möllemann sprang am letzten Spieltag mit Fallschirm in den Schalker Mittelkreis und die Medien. Mit skrupellos demonstrierter Fußballbegeisterung kann man es weit bringen, nicht nur in Italien, wo Berlusconi die demokratischen Parteien unter dem Schlachtruf der Tifosi „Forza Italia“ aushebelte. Schröder verstieg sich in Dortmund einst: „Wenn man so will, ist die Borussia ein Modell moderner Sozialdemokratie: Innovation und Gerechtigkeit.“ Da brüllten sie im Westfalenstadion längst: „Scheiß Millionäre“. So weit sind sie in Schalke noch nicht. Und so muss sich Wittke weiterhin in sein Schicksal fügen: ein begeisterter Schalker sein.
Fragen zu Schicksalen?kolumne@taz.de
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