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Das neue Gesicht des Fußballs

aus Mailand MATTI LIESKE

Nur wenige haben ihn gesehen, die aber können beschwören: Der Geist von Berti Vogts weilte am Mittwochabend im Giuseppe-Meazza-Stadion von Mailand. Je länger das für neutrale Beobachter eher triste Match zwischen Bayern München und dem FC Valencia dauerte, das die Münchner schließlich im Elfmeterschießen gewannen, desto deutlicher war die raunende Stimme des kleinen Kleinenbroichener Extrainers zu hören: „Der Star ist die Mannschaft, der Star ist die Mannschaft.“

Entsprechend harsch fiel das Urteil der italienischen Medien über die Sieger des Abends aus, die nach 25 Jahren Abstinenz endlich wieder einmal den Europapokal nach München geholt hatten. „Das heutige Team mit der Mannschaft von damals auch nur in Verbindung zu bringen, wäre reine Blasphemie“, schimpfte die Gazzetta dello Sport über die Mannen um Effenberg, Kahn und Scholl, die das vollbracht haben, was Bayern-Stars früherer Generationen wie Karl-Heinz Rummenigge oder Lothar Matthäus nicht vergönnt war. Und dies auch noch in einer Champions League, in der inzwischen alles mitspielt, was Rang und Namen hat im europäischen Fußball. Auf der Strecke blieben: Juventus Turin mit Zidane, Davids und del Piero. Real Madrid mit Figo, Raul und Roberto Carlos. Der FC Barcelona mit Rivaldo und Kluivert. Lazio Rom mit Nesta, Nedved und Crespo. Der AC Mailand mit Schewtschenko und Bierhoff. Manchester United mit Beckham, Giggs und Barthez. Arsenal mit Henri, Kanu und Bergkamp. So viele Stars und keiner von ihnen in San Siro. Stattdessen zwei Teams der Namenlosen, mit lauter Akteuren, die – abgesehen vielleicht von Mendieta und Kily Gonzalez – auf keiner der Einkaufslisten der großen italienischen Klubs auftauchen.

Wie konnte dies geschehen, fragt man sich vor allem in Italien, dessen millionenschwere Klubs diesmal alle früh aus einem Wettbewerb flogen, dessen aufwendiges Gruppenspielsystem, anders als die früheren K.o.-Runden, eigentlich dazu prädestiniert ist, die Armen von den Reichen zu trennen.

Die Antwort liegt in den Schmähungen, die sich der Champions-League-Gewinner 2001 genauso gefallen lassen muss wie sein unterlegener Gegner. Langweilig mögen sie sein, aber dafür höchst effektiv. Die Bayern-Elf der Siebziger mit ihren Weltstars vom Schlage Beckenbauer, Maier, Müller, Hoeneß, Breitner passt hingegen exakt in jenes Schema, mit denen die reichen italienischen, spanischen und englischen Klubs heute den Erfolg anstreben. Superstars, einer teurer als der andere, treten sich im Kader auf die Füße, wer nicht sofort funktioniert, wird wieder weggeschickt, und wenn die Sache schief geht, ist allemal der Trainer schuld und wird gefeuert.

Der Unterschied heißt Hitzfeld

Bayern München und der FC Valencia sind hingegen Trainerteams. Nicht umsonst ist Héctor Cúper, der argentinische Coach der Spanier, derzeit die heißeste Nummer auf dem italienischen Transfermarkt, er wird mit AC Mailand, Inter Mailand, aber auch dem FC Barcelona in Verbindung gebracht. Ähnlich wie Schalkes Huub Stevens, vertritt Cúper die Theorie, dass man bei Spielbeginn einen Punkt habe und dieser erst mal festzuhalten sei. Wie zuvor bei RCD Mallorca formte der Argentinier in Valencia Baustein für Baustein ein Team aus Spielern, bei denen weniger Wert auf Genialität als auf Kampfkraft, Laufstärke und Taktikverständnis gelegt wurde. Bezeichnend, dass seine Spieler bei anderen Klubs meist schlechter sind.

Auch Ottmar Hitzfeld kann bei den Münchner Bayern in relativer Ruhe eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen konzipieren, in der jeder genauestens seine Aufgabe kennt und erfüllt. Die phänomenale Fähigkeit, in scheinbar aussichtslosen Situationen „über sich hinauszuwachsen“, wie es Hitzfeld gern nennt, kann nur zum Tragen kommen, weil im Team keine Primadonnen wie Zidane, Figo, Kluivert wirken. Während die schnell die Lust verlieren, wenn es schlecht läuft, hat er verbissene Kämpfer, die erst richtig wach werden, wenn es ihnen an den Kragen geht.

Cúper, aber besonders Hitzfeld beherrschen beide zudem die Kunst, die größte Stärke des Gegners zu analysieren und zu neutralisieren, ihm sozusagen das Herz herauszureißen. Gegen Manchester waren die Bayern-Opfer Beckham und Keane, gegen Real Madrid Figo und Roberto Carlos. Im Finale gegen Valencia war es Gaizka Mendieta, der lange Pausen in der Offensive einlegen musste, weil er so oft dem flinken Lizarazu hinterherzuhetzen hatte.

Schön ist diese Art Destruktionsfußball nicht, und wenn er gleich von zwei Mannschaften gepflegt wird, ist es nur natürlich, dass die italienischen Medien ziemlich übereinstimmend von einem der schlechtesten Finales in der Geschichte sprechen.

Defensive ist nicht im Trend. Seit einigen Jahren dominiert in Europa der schöne, spektakuläre Angriffsfußball, selten zuvor gab es eine solche Fülle hochbegabter Offensivkünstler. Spielverderber wie Valencia und Bayern sind da ungebetene Störenfriede, selbst im eigenen Lager.

Héctor Cúper verlässt trotz zweier Finalteilnahmen in der Champions League und einer Spitzenposition in der Liga den FC Valencia, weil ihn die Fans wegen des hässlichen Fußballs auspfiffen und vergraulten.

Hitzfelds Bayern müssen sich vom als Präsident verkleideten Fußballästheten Beckenbauer ob ihrer spielerischen Inferiorität regelmäßig abwatschen lassen. Mit ihrem Sieg von Mailand erkämpften die Münchner nicht nur das Wohlwollen ihres Präsidenten, sondern zweifellos auch den Respekt in Europa, der ihnen nach Meinung ihres Managers Uli Hoeneß längst zusteht. Bewunderer haben sie sicher nicht gewonnen. Abgesehen von Bertis Geist natürlich.

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