: Das eine oder das eine?
■ Die postmoderne Identitätsproblematik kann doch tatsächlich via oldbacken Shakespeare nochmal frischer gedreht werden – in der Sakespeare Company : wo sonst?
Schwächen in Stärken transformieren – für die Shakespeare Company alte Gewohnheit. Und so macht sie aus ihrer finanziell bedingten Personalknappheit ein ästhetisches Prinzip: Ein Schauspieler übernimmt gleich mehrere Rollen, und zeigt so in guter alter 68er-Manier, dass wir alle nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch ein ganz ganz ganz anderes Leben leben könnten, wenn die Umstände uns an einen anderen Platz gesteckt hätte. Und am effektifsten wird dies ganz (!) unhinterfragbar in der Sparbesetzung bei der „Komödie der Irrungen“. Deshalb war der Erfolg der neuen Premiere irgendwie vorprogrammiert – und es war ein großer Erfolg, was sonst? Denn dort – in den Irrungen – gibt es zwei Zwillingspaare, und sowohl die zwei identischen Diener als auch die ZWEI identischen Herren tragen dieselben Namen – und in der Company auch dieselbe Haut: Die Diener heißen Dromio, die Herren Antipholus, und entgegen üblichen Besetzungsgepflogenheiten werden sie hier von einem Schauspieler gespielt. Erik Roßbander ist der (grandios überzeichnende) Dromio aus Syrakus – und – der aus Ephesus, Martin Schwanda der Antipholus von Syrakus und Ephesus.
Weil der Syrakuser Antipholus plötzlich im Ephesus des Epheseischen Antipholus auftaucht, entsteht ein Strudel von Verwechslungsorgien: Der Syrakuser Fremde wird genötigt zu einer Vertrautheit mit einer ihm unbekannten Frau, Haus, Hof. Der Heimische – aus Ephesus – wird ausgeschlossen von Haus, Hof, Frau. Beides kann gleich abstrus sein: Plötzlich draußen stehen in der Fremde oder plötzlich Mitglied sein, wo man es PARTPOUT nicht will. Martin Schwanda gibt beiden Seiten wundervoll unterschiedliche Färbung. Und auch der Lilaton der zwei Jacketts differiert, in die er sich in der Schlussszene wirft.
Eigentlich sollten sich die zwei Antipholusse – laut Shakespeare – ins Antlitz sehen: Mit nur einem einzigen Schauspieler irgendwie ein Problem! – das Regisseur Sebastian Kautz löste, indem er Schwanda zwei fast identische, aber eben nicht ganz identische Jacketts wechseln ließ. Ein Einfall, den der Kollege von den Bremer Nachrichten ein bisschen plump fand, der aber durchaus die Identitätsproblematik nochmal toppt und verkompliziert. Eben nicht Jekyll & Hyde: Bin ich das eine oder das ganz andere böse? Oder bin ich das eine oder das eine?
Heutzutage, nach der proklamierten Auflösung des Subjekts, erscheint diese Geschichte um das ewigen „Wer-bin-ich“ erstaunlich postmodern, also modern – und ein Spiegel auf dem Programmheft teilt uns mit: Du bist gemeint, heute, hier und jetzt! Aber die Geschichte ist antik.
Titus Maccius Plautus erfand im 3. vorchristlichen Jahrhundert einen Jupiter, der sich in Alcmene verliebte, und bequemerweise die Gestalt ihres Gatten Amphitrion annahm, um sie rumzukriegen. Es geht um die alte Frage der Gründe für die Liebe: Lieben wir (nur) eine äußere Erscheinung oder lieben wir Charakter/Wesen/Inneres.
Shakespeares Interesse ist anders gelagert: Nicht: Wen lieben wir? Sondern: Wer sind wir? Peinlich? Vielleicht! Ach ja, die Stärke von Kautzs's Inszenierung ist ja schon, dass er sich nicht drauf konzentriert auf die Identitätsproblematiker, sondern sehr, sehr, sehr viel Raum denjenigen überlässt, die die Leidtragenden sind; die Frauen, die außerordentlich spannende Figuren entwickeln dürfen: TOLL, Petra-Janina Schultz als sehr-sehr anziehende Pseudo-Ehfrau, toll Janinina Sablozki als heißestgeliebtere Schwester. Schon eine, wie sagt man da, gelungene Inszenierung. bk
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