Unfälle in der Fabrik

Das Arbeiter- und Musikerkollektiv „E Zezi“ pflegt die Volkskultur Neapels. Ein Teil der Gruppe macht nun unter dem Namen „Spaccanapoli“ Karriere

„Scappanapoli“ klingen wie „E Zezi“. Das Prinzip der Produzenten war offenbar: Raus mit dem Sozialen, rein mit der Postkarten-Folklore.

von FRANK HELBERT

„Mich hat vor allem die Stimme der Frau verhext“, bekannte Peter Gabriel, als er im vergangenen Jahr in Mailand die Veröffentlichung des Albums „Lost Souls“ der neapolitanischen Gruppe Spaccanapoli auf seinem Hauslabel Real World bekannt gab. „Mich beeindruckt die Energie dieser ganzen Gruppe, die sich aus Mitgliedern der Gruppe ‚E Zezi‘ aus Pomigliano d’Arco zusammensetzt.“

Doch das war nur ein Teil der Geschichte. Denn ursprünglich wollte Real World wohl ein Album mit dem kompletten Arbeiter- und Musikerkollektiv „E Zezi – gruppo operaio“ produzieren und nicht nur mit einigen Mitgliedern davon.

„E Zezi“ ist ein bis heute existierendes Projekt, das die ländliche Kultur im Hinterland Neapels – die Tradition von Musik, Theater und Tanz – trotz des radikalen Umbruchs des Lebens durch Verstädterung und Industrialisierung vor dem Aussterben bewahren will. Gegründet 1974 von organisierten Arbeitern der Alfasud-Werke bei Pomigliano d’Arco, hatte das Kollektiv um Angelo de Falco bis 1994 in unzähligen Konzerten, bei Demonstrationen und Manifestationen seine Vorstellung einer so politischen wie folkloristischen Musik verwirklicht und immerhin zwei Alben aufgenommen, die geprägt waren vom Sond des Tamburins und der einprägsamen Stimme des Marcello Colasurdo. Außerdem bot es einen sozialen Ort zum Denken und Diskutieren innerhalb und außerhalb der Arbeitszyklen – ein Miteinander, das im Hinterland Neapels auch nach dem späten Beginn der schweren Industrialisierung anhielt. Mehr als hundert Musiker haben die Formation unterstützt, die in ihren Liedern die Explosion in einer Feuerwerksfabrik genauso verarbeitete, wie sie die Freuden des Lebens besang.

Nach mehr als zwanzig Jahren waren „E Zezi“ nicht nur in Neapel zur Institution, sondern auch überregional bekannt geworden. Die Band hatte Konzerte in Europa und in den USA gegeben, wurde von jüngeren, erfolgreichen Gruppen wie „Almamegretta“ zitiert und alles schien, als sollte ihre „Lotta continua“, ihr musikalischer Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten, gar von höherer Ebene gewürdigt werden: Peter Gabriels Plattenfirma Real World zeigte Interesse an einer Koproduktion der nächsten CD.

Die Aufnahmen begannen in einem Studio auf Capri, wo schon Sting, Mariah Carey und andere Popgrößen Platten produziert haben. Als aber aus mündlichen Absprachen Verträge gemacht werden sollten, kam es zu ersten Mißtönen zwischen der Gruppe, dem Studiobetreiber Carloquinto Talamona und der Plattenfirma in England. So hatte sich Angelo de Falco, der Kopf der Gruppe, die Arbeit für das renommierte Weltmusik-Label nicht vorgestellt: „Sie baten uns, unsere bekannteren Stücke neu aufzunehmen, aber manche Textstellen noch einmal zu überarbeiten. Auf der anderen Seite sollten wir auf einige für uns wichtige Volkslieder verzichten. Dann haben sie ‚A Ferriera‘ für ein Liebeslied gehalten. Als wir ihnen sagten, dass es darin um ein Unglück in einer Fabrik ging, sind sie aus allen Wolken gefallen. Schließlich kam der Real World-Manager Peter Walsh zur Endmischung ins Studio nach Capri und brachte einen Vertrag mit, den wir korrigierten, den der Koproduzent Talamona aber so nicht akzeptierte.“

Angelo de Falco und die meisten der Musiker fanden es nicht akzeptabel, als Autoren eingetragen zu werden, um die Rechte mancher traditioneller Lieder bei der italienischen Gema, der SIAE, als Autoren beanspruchen. Außerdem wollte Real World auch die Verlagsrechte der traditionellen Stücke haben, sagt de Falco. „Doch unserer Meinung nach lassen sich die Rechte an Volksmusik nicht verkaufen. Auf unseren entsprechenden Brief hat Real World bis heute nicht geantwortet. Zum endgültigen Bruch kam es dann, als wir entdeckten, dass unser Geiger Antonio Fraioli sich selbst als Autor unserer gemeinsamen Stücke bei der SIAE eingeschrieben hatte, und dass er das Projekt am liebsten unter anderem Namen und ohne den politischen Kern der Gruppe fortsetzen wollte.“

So lief es dann auch ab. Antonio Fraioli gründete, zusammen mit zwei anderen Mitgliedern von „E Zezi“ und dem charismatischen Sänger Marcello Colasurdo, der die Gruppe schon vorher verlassen hatte, um sich Theater- und Soloprojekten zu widmen, die Formation „Spaccanapoli“.

Spaccanapoli heißt eine Straße, die Neapels Altstadt der Länge nach zerteilt, angesichts der Spaltung der Gruppe eine geradezu zynische Namenswahl. Ein Teil der Aufnahmen wurde neu eingespielt, im Herbst vergangenen Jahres erschien das Album bei Real World. Dort zieht man sich darauf zurück, dass man ja nur als Lizenznehmer für den weltweiten Vertrieb fungiere, und enthält sich jeden Kommentars. Auf der Homepage der Plattenfirma war aber voriges Jahr noch zu lesen, ‚E Zezi‘ habe sich „in ‚Spaccanapoli‘ umbenannt“. Offenbar waren die Manager in England über die Hintergründe und die Umstände der Spaltung nur unwesentlich informiert. Und vermutlich war es ihnen wichtiger, ein hübsches Produkt aus der Region Neapel auf den Markt zu bringen.

Tatsächlich ist das Album sehr gelungen. Es hat nur den Schönheitsfehler, dass nicht unbedingt draufsteht, was drinsteckt. Denn die Musik von „Spaccanapoli“ ist letztlich die Musik von „E Zezi“. Und das Album „Lost Souls (Aneme Perze) klingt genau so wie der letzte Mix ihrer abgebrochenen Produktion.

Offenbar hatten die Mitglieder von „Spaccanapoli“ noch keine Zeit, gemeinsame Kompositionen aufzunehmen. Ihre Platte besteht aus Coverversionen von sechs „E Zezi“-Stücken und einigen bearbeiteten Traditionals, für die einer der Musiker von Spaccanapoli wohl nun Tantiemen kassieren wird.

Dafür wurden die Inhalte ein wenig verändert und die Texte offenbar marktgerecht gekürzt – raus mit dem Sozialen – oder postkartengerecht umgeschrieben – rein mit der Folklore.

Aus „Giuvinotti e signurine“, einer Satire über arbeitslose Jugendliche, die ihren Eltern auf der Tasche liegen, wurde das fröhliche Partylied „Miezz’a festa“, und so finden sich noch weitere Beispiele. Für der Kritiker Ivan della Mea klingt diese Musik deswegen ‚genmanipuliert‘ “.

Die Auftritte der Band sind allerdings, das müssen auch Kritiker einräumen, durchaus beeindruckend. Und im Ausland versteht man die Feinheiten der Texte im neapolitanischen Dialekt ja sowieso nicht. Ein solches Konzert genießen kann aber nur, wer dabei nicht an „E Zezi“ denken muss. Die sind mal wieder auf der Suche nach einem Plattenvertrag – für ihre drittes Album in ihrer über fünfundzwanzigjährigen Karriere.

Musik aus Neapel: Spaccanapoli: „Lost Souls“ (Aneme Perze); Almamegretta: „imaginaria“ (BMG, Juni 2001); Pino Daniele: „Medina“ (BMG)