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Ein unstillbares Loch

Catherine Breillats „Ein Mädchen“ sucht weibliches Verlangen zu thematisieren – und bleibt klischeeverhaftet  ■ Von Doro Wiese

Catherine Breillat gilt seit ihrem ersten Roman Der leichte Mann als Skandalautorin. Auch ihre Filme sind umstritten: So fiel beispielsweise Ein Mädchen, welches das Metropolis jetzt zeigt, der französischen Zensur zum Opfer. Dem Film wurde vorgeworfen, er sei pornographisch – und diese Kritik ist selbst fünfundzwanzig Jahre nach Ersterscheinen zutreffend. Ein Mädchen ist definitionsgemäß Pornographie: In ihm kommen weibliche und männliche Sexualorgane, Körperflüssigkeiten und sexuelle Handlungen zur Darstellung.

Mit diesen Kriterien ist jedoch wenig über die Aussage des Films besagt. Denn ein genereller Pornographievorwurf hilft dann wenig, wenn Sexualität veranschaulicht werden soll. Wer diesen Bereich des menschlichen Lebens also nicht ausschließen will, muss andere Bewertungskriterien heranziehen. Schließlich kann es in einem Porno auch darum gehen, Vorstellungsweisen von Sexualität zu verschieben. Eine Darstellung weiblicher aktiver Sexualität wäre beispielsweise eine kulturelle Bereicherung. Denn allzu oft weigern sich Repräsentationen, Frauen eine begehrende Position zuzugestehen. Vorstellungsweisen, wie sie beispielsweise der Hamburger Verkehrsverbund mit seiner Werbung vertritt – „Rein, raus, fertig“ – sind leider immer noch die Norm.

Daher ist Breillats selbstgestellte Aufgabe, die Darstellung von Sexualität aus weiblicher Sicht, ein begrüßenswertes Wagnis. Ein Mädchen nimmt sich dieses Themas an, indem es die Geschichte einer erwachenden weiblichen Sexualität erzählt. Die fünfzehnjährige Alice muss die Sommerferien bei ihren Eltern verbringen. Dort ist Langeweile angesagt, denn es gibt wenig zu bereden und noch weniger zu tun. In diesem handlungsarmen Raum wird der eigene Körper zum Mittelpunkt des Interesses. Seine Sensationen vermitteln die einzige Aufregung, mit der gespielt werden kann.

Durch eine fortwährende Beschäftigung mit den eigenen Lüsten zieht sich Alice nach und nach selbst in einen Bann. Alsbald sind sämtliche Handlungen durch einen möglichen Lustgewinn gekennzeichnet. Selbst das exzessive Sonnenbaden steht im Zeichen eines Attraktivitätsgewinns, bei dem der eigenen Phantasie freier Lauf gelassen werden kann.

Doch die sexualisierte Selbstbetrachtung erweist sich alsbald als unzureichend. Der Spiegel, mit dem der Blick auf den eigenen Körper erprobt wird, muss durch einen anderen, begehrenden Blick ersetzt werden. Was einmal als Möglichkeit des eigenen Körpers entdeckt ist, wird durch die Lust auf ein männliches Gegenüber ersetzt. Denn für ein Verlangen nach dem eigenen Lustgewinn ist dieser weibliche Körper ungenügend. Er muss sich in ein Verhältnis setzen – ansonsten kann die eigene Lust nicht ausgefüllt werden.

Es ist diese Mangelhaftigkeit des weiblichen Körpers, seine fehlende Selbstgenügsamkeit, durch den in Breillats Film ein fundamental ungleiches Geschlechterverhältnis einbricht. Was als Eroberung von Körperlüsten begann, wird zu einer von Männern bewerteten Weiblichkeitsinszenierung. Wenn Alice sich entschließt, ihren Körper zur Schau zu stellen und seine weiblichen Reize einzusetzen, liefert sie sich männlichen Blicken und Kommentaren aus. Ihr Lustgewinn ist somit abhängig von einem männlichen Begehren, dem es freisteht, sich zu verwehren. Unweigerlich wird damit ihr Körper mit seinen Zonen der Lust zu einem potentiell abgewerteten Ort. So kann beispielsweise der Arbeiter Jean, dem sie dauerhaft ihre Vagina zeigt, sie abweisen und belächeln.

Was als vermeintlicher Aufbruch begann, wendet sich im Film zu einer quälend demütigenden Darstellung weiblicher Sexualität. Fliegende, selbstsichere Mösen kommen darin sicherlich nicht vor, denn die Vagina ist bei Breillat auf eine übliche, kulturelle Konvention reduziert: Ein Loch, das sich nicht schließt.

heute, 20 Uhr, Metropolis (in Anwesenheit der Regisseurin)

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