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Ein Blimp über Bremen

■ Bei der Fahrt mit dem blauen Kleinluftschiff zeigt sich Bremen von ganz ungewohnten Seiten / TV-Gesellschaften, Polizei und Unternehmen nutzen den gasgefüllte Ausguck

„Das ist das beste Gefühl am Tag“, sagt Kapitän David Hollyhomes, als der Blimp wieder auf der Wiese am Flughafen gelandet ist. „Blimp“ ist ein „unstarres Kleinluftschiff“, sagt das Lexikon. In den letzten Tagen hat ein Exemplar mit Reklame für die Firma Mazda über Bremen seine Kreise gezogen. Immerhin hat der Pilot, der vorher 15 Jahre lang für Britisch Airways flog, nun schon 4.500 Stunden dasblaue Leicht-Luftschiff gefahren. Für einen, der zum ersten Mal mit der gemächlichen Langsamkeit von Blimp über Bremen kreisen konnte, ist der Moment der Landung weniger glücklich – eher das Ende einer schönen Reise.

Der Schrecken liegt mehr beim Start des ungewöhnlichen Helium-Ungetüms. Etwa 100 Kubikmeter des Gases, in eine Hülle von sechs Meter Durchmesser gepresst, sollen bis zu 3.000 Kilo Gewicht nach oben tragen. Drei oder vier Personen können mit, mehr nicht; das Gleichgewicht zwischen Auftrieb und Schwerkraft wird mit Sandsäcken penibel austariert. Denn wenn der Helium-Ballon zu großen Auftrieb bekommt, dann bedarf es zu großen Motor-Einsatzes, ihn wieder herunter zu holen. Die maximale Flughöhe beträgt 700 Meter, sagt der Kapitän, wenn das Luftschiff höher steigt, kriegt er einen Anruf vom Tower. Zwei Motoren hat das Luftschiff; zum Antrieb und zur Lenkung dienen zwei Propeller rechts und links. Einer ist oben angebracht und mit ihm reguliert der Pilot die Flughöhe. Wie ein Rollstuhl-Fahrer hat der Pilot zwei große Räder, mit denen die Propeller bedient werden, links und rechts neben seinem Sitz.

Dass das Ding ordentlich nach oben kommt, scheint nicht selbstverständlich. Acht Männer sind beim Start erforderlich, nach der obligatorischen Kontrolle der Funktionsfähigkeit aller Elemente wird das an der „Nase“ an einem Mast festgemachte Luftschiff losgebunden, und dann sichern diese Männer mit langen Seilen die Position. Wind würde den großen Helium-Körper sonst sofort abtreiben, dagegen kämen die kleinen Propeller nicht an. Der Blimp kippt dann seine Nase nach oben, die Passagiere in der kleinen Kabine, die unter dem Helium-Ballon hängt, werden fest gegen die Lehne gedrückt und verstehen, warum sie sich anschnallen sollten. Steil geht der Blimp hoch, die Motoren knattern und Verständigung ist nur noch über die Kopfhörer, die gegen den äußeren Lärm abschirmen, und Headset-Mikrofone möglich.

Ist man einmal oben, verliert sich die Angst. Ruhig zieht der Blimp seine Bahnen, und beim Blick nach unten eröffnet sich für Schwindelfreie der Blick hinter die Fassaden. „Bremens Hinterhöfe“ haben ungeheure Ausmaße, unaufgeräumte, offenbar brach liegende Flächen, die man von den Straßen her kaum sieht. Wir fliegen über die Industrielandschaft der Neustädter Häfen und des Güterverkehrs-Zentrums, über die Kläranlage Seehausen. Von dort schon erscheint die riesige Sandfläche des zugeschütteten Überseehafens, links daneben die gigantische Space-Park-Baustelle, am Horizont rostbraun die Stahlwerke.

„Weiter dürfen wir da nicht, wegen Lemwerder“, sagt der Flugkapitän. Er darf nur starten, wenn kein Flugzeug im Anflug ist, und er muss die Einflugschneise des Flughafens Lemwerder weiträumig meiden. Nebenbei wäre es auch für Mazda als Sponsor der Tour kein Gewinn, über menschenleeres Gebiet zu fliegen. Wir ziehen den Kreis über die Hafenreviere hinweg nach Walle und Findorff, das von oben fast wie „Kleingarten-City“ aussieht. Der Bürgerpark mit der imposanten Hotelanlage, der Technologiepark und hinter der Autobahn die gestreifte Natur-Landschaft, die Innenstadt, die von Osten her im zusammenfassenden Blick die Form eines Tränensackes bekommt. Überall, wo man hinschaut, erscheinen neue Nachbarschafen, Dimensionen, hier könnte man stundenlang mit Günter Jauch „Was ist das denn da?“ spielen. Die bewohnten Bereiche der Stadt sind besonders schwer auseinander zu halten, schachbrettartig gliedern sich die meisten Straßen in die roten Streifen und die dazwischenliegenden grünen Karos.

Wenn Kapitän Hollyhomes nicht Reklame fliegt und zu Werbezwecken auch Journalisten mitnimmt, dann wird er von der Polizei eingesetzt. Oft schwebt er nachts ganz ruhig und leise über London, vorn ist dann eine vom Boden steuerbare Infrarot-Kamera angebracht, mit der Details des kriminellen Nachlebens aufgezeichnet werden. Tagsüber nutzen eher Fernseh-Gesellschaften das vergleichsweise preiswerte Flug-Instrument, um bei Sport-Übertragungen aus der überraschenden Perspektive immer „dabei“ zu sein.

Die Zeit geht vorbei wie im Flug, wenn unten viel zu sehen ist. Das Benzin, mit dem die Motoren angetrieben werden, ist aus Gewichtsgründen knapp. Auch zur Landung werden diese Motoren benutzt. Auf dem Flughafen erwarten uns schon die Männer, die wie auf einem Hubschrauber-Landeplatz im großen Kreis verteilt stehen. Während des gesamten Fluges hingen die Seile an der „Nase“ des Blimp herunter, mit denen die Männer beim Start die Position gehalten hatten.

Nun ergreifen sie wieder diese Seile, kurz bevor der Blimp auf die kleinen Räder aufsetzt, die unter der Kabine angebracht sind. Ungefähr 200 Meter rollt und rumpelt es über die Wiese, während die Männer an den Seilen zerren und praktisch per Hand das Luftschiff schließlich zum Stehen bringen – praktischerweise direkt an dem Mast, an dem es nun wieder mit der Spitze angebunden wird. Wenn Seitenwind aufkommt, dreht sich der Blimp am Boden mit dem Wind und weicht ihm möglichst aus – ein Blimp steht wie eine Möwe immer mit der Nase zum Wind. Wenn das kleine Luftschiff seine Position zum Wind gefunden hat, darf man die Türe der Kabine öffnen und über eine Klapp-Leiter ins Gras absteigen – wackelig auf den Beinen wie nach einem Langstreckenflug.

K.W.

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