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Die den hohen Baum begehen

Bei den Deutschen Meisterschaften der Baumkletterer im brandenburgischen Genshagen geht es so „irgendwie sportlich“ zu, aber ganz bestimmt ökologisch. Von den 50 Teilnehmern ist keiner vom Baum gefallen. Helmut Schwengels qualifiziert sich als Sieger für die WM im August in den USA

aus Genshagen MARKUS VÖLKER

Dass man Bäume bewohnen kann, bewies Julia Hill. Zwei Jahre hauste sie in einem Redwood im Norden Kaliforniens und trotzte in 60 Metern Höhe Wind, Wetter und skrupellosen Schlägertrupps, die den 1.200 Jahre alten Mammut-Methusalem profitträchtig zu Kleinholz verarbeiten wollten. Dass man in Bäumen auch Sport treiben kann, demonstrierten am vergangenen Wochenende die Baumkletterer bei ihren Deutschen Meisterschaften. Zum achten Mal fand die Veranstaltung statt, die als „berufsständischer Wettkampf“ annonciert war.

Im Schlosspark Genshagen, südlich von Berlin, trafen sich 50 Teilnehmer mit der Laubsäge im Halfter, um in sechs Disziplinen den Besten der Bäume zu ermitteln. Zunächst ging’s zur Qualifikation auf eine Eiche. Schnellklettern am Seil lautete die Aufgabe. Mit Fußklammertechnik (Footlock), die einst von amerikanischen Zapfenpflückern perfektioniert wurde, musste eine Glocke in dreizehn Metern schnellstmöglich angeschlagen werden. Der Weltrekord liegt bei elf Sekunden.

Die 25 Schnellsten durften sich dann an eine Esche wagen. Am Laubgewächs warf man das Kletterseil über eine Astgabel. Am Seilende befindet sich ein 300 Gramm schweres Säckchen, das wie ein Lasso nach oben geschleudert wird. Zur Schonung der Rinde wird freilich eine starke Bandschlinge, der so genannte Kambiumschoner, angebracht.

Bevor eine ausladende Platane zum Finale, an dem nur die fünf Besten teilnahmen, bestiegen wurde, retteten die Baumkletterer noch einen Verletzten aus einer Säuleneiche und arbeiteten flugs im Geäst einer Robinie. Schließlich galt es zu zeigen, dass man sein Handwerk versteht. Und das besteht aus Pflegeschnitten und Kronensicherung, aus Spezialfällungen und der Entnahme von Blatt- und Nadelproben. Manchmal muss auch einfach nur „Totholz rausgepflückt“ werden.

„Wenn die Menschen Bäume in ihren Kulturbereich setzen, tragen sie die Verantwortung dafür“, sagt Christian Kruck. Er hat sich mit einem Freund selbstständig gemacht und betreibt in Berlin die Firma „Baumläufer“. Wenn er manchmal die „ausblutenden Wunden“ der „größten Landlebewesen“ sieht, dann blute ihm das Herz, sagt er. „Eigentlich können sich die Bäume ganz gut selbst helfen, die sind ja schließlich schon 200 Millionen Jahre länger da“, aber es wird, vor allem in der Stadt und beim Straßenbau, „verheerend“ mit Bäumen umgegangen. „Zur Baumpflege gehört ein sehr hoher Sachverstand.“ Denn: „Je öfter ich zum Beispiel schneide, desto mehr verkürze ich die Lebensdauer eins Baumes.“ Er versteht nicht, wenn mit Bäumen nach Belieben verfahren wird. Wenn etwa Verkehrslobbyisten weismachen, in den brandenburgischen Alleen rasten die Bäume hinterhältig in die Kühlerhauben trunkener Jungmänner. Oder wenn sich der Baggerfahrer bedenkenlos mit der Schaufel durchs Wurzelwerk wühlt.

„Wir leben einzeln und frei wie ein Baum, brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.“ Die „Initiative Lebensbaum“ zitiert Nazim Hikmet. Bernd Strasser, amtierender Weltmeister der Baumkletterer, bietet gemeinsam mit seinem Bruder Gerhard Kurse am Baum an. Für die üblichen Verdächtigen. Manager. Esoteriker. Outcasts. „Stressgeplagte erfahren in höchster Höhe ihre tiefsten Tiefen bei einem mehrtätigen Aufenthalt im Baum mit einer Übernachtung in 40 Metern Höhe“, versprechen die Strassers. Überdies wird „meditatives Arbeiten im und mit dem Baum“ angeboten.

„Das seift mir oft zu sehr ins Esoterische ab“, sagt Kruck, „vor allem wenn die Baumstreichler wieder unterwegs sind.“ Er, der Buchen liebt, Robinien und Pappeln jedoch weniger, ist vielmehr ein baumständiger Tatmensch. Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Baumpflege, die auch die Deutsche Meisterschaft ausrichtete, unterstützte er Baumbesetzungen in Freiburg.

Alte Eichen sollten einem Autobahnzubringer weichen. Castor-Gegner, die sich zum Zeichen des Protests von Bäumen schwingen wollten, unterrichte die AG in Kletterei. Die deutsche Abteilung der ISA (International Society of Arboriculture) sieht den Aktionen mit gemischten Gefühlen zu. „Für die ISA sind wir hier sowieso nur die Affen, die ein bisschen auf Show machen“, sagt Kruck, der im vergangenen Jahr Fünfter der Meisterschaft wurde.

Kruck sagt, er habe nicht extra trainiert. Die tägliche Arbeit reiche zur Vorbereitung auf die DM. „Es geht schon irgendwie sportlich zu“, sagt er. „Aber es gehört mehr dazu. Es kann sich nicht jeder Bergsportfreak sofort auf einen Baum wagen.“ Kruck ist am Ende 13. geworden. Beim Arbeitsklettern hat er das Zeitlimit überschritten. Helmut Schwengels hat sich als Erster für die WM Mitte August in Milwaukee qualifiziert. Von dort aus ist es auch nicht so weit (nur noch 1.500 km) zu den Redwoods, diesen ehrwürdigen hölzernen Stalagmiten. Zu den Riesensumpfzypressen schauen die Baumkletterer auf wie die Moslems auf Mekkas Minarette.

Auf der wöchentlichen Suche nach Berlins randigster Randsportart erhält Baumklettern auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 9 Punkte

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