: Abtreibung auf hoher See
Im Juni nimmt das Abtreibungsschiff „Sea Change“ Kurs auf Irland. Mit dieser Aktion will eine holländische Organisation gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruches demonstrieren. Abtreibungsgegner laufen bereits Sturm gegen das Projekt
aus Dublin RALF SOTSCHECK
Irland ist ein katholisches Land. Worte wie Abtreibung sind bei den Politikern gefürchtet, denn Stimmen lassen sich damit nicht gewinnen. Nun droht das Thema ihnen den Sommer zu verderben. Im nächsten Monat legt ein Abtreibungsschiff im Dubliner Hafen an. Die „Sea Change“ ist von der niederländischen Organisation „Women on Waves“ gechartert worden, die von der Gynäkologin Rebecca Gomperts 1999 gegründet worden ist.
„70.000 Frauen sterben jedes Jahr nach einer Abtreibung“, sagt Gomperts. „Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist die Schaffung legaler und sicherer Abtreibungsmöglichkeiten.“ Ihr geht es vor allem darum, das Thema ins Bewusstsein zu rufen: „Wir wollen das Unsichtbare in diesen Ländern sichtbar machen.“
Die „Sea Change“, mit einem Klinik-Container von höchstem medizinischem Standard ausgerüstet, wird nur Länder ansteuern, aus denen eine Einladung vorliegt. In Irland hat sich eine Koalition von Abtreibungsbefürwortern zu Women on Waves Ireland zusammengetan. Eine Sprecherin ist Ivana Bacik, Rechtsprofessorin am Dubliner Trinity College. „Im vorigen Jahr haben fast 6.000 Frauen, die in England abgetrieben haben, irische Adressen angegeben“, sagt Bacik. „Die Dunkelziffer ist weit höher.“
Irlands Politiker hatten gehofft, dass diese irische Lösung ihnen den Rücken bis zum Sanktnimmerleinstag freihalten würde. Bis Anfang der Neunzigerjahre funktionierte das. Die Bevölkerung hatte 1983 in einem Referendum das gesetzliche Abtreibungsverbot in die Verfassung aufgenommen. Doch so wasserdicht war der Paragraf nicht: Das höchste irische Gericht entschied 1993, dass bei Lebensgefahr für die Schwangere eine Abtreibung zulässig sei, dazu zähle auch Selbstmordgefahr.
Das Urteil stürzte die Regierung in ein Dilemma. Es klärte weder, ob die Abbrüche in Irland vorgenommen werden dürfen, noch sagte er etwas über Fristen aus. Die Politiker hätten die Unklarheit ausräumen müssen. Doch bisher traute sich keine Partei an das heiße Eisen heran.
Statt dessen erfolgte ein neues Referendum. Darin sprachen sich die Iren zugunsten der Reisefreiheit und des Rechts auf Informationen über Abtreibung aus, was nicht garantiert war: Englische Illustrierte mit Anzeigen von Abtreibungskliniken mussten die entsprechenden Stellen schwärzen, bevor sie in Irland ausgeliefert wurden.
In der Kernfrage lehnte das Volk den Vorschlag ab: Abtreibungsgegnern ging er zu weit, weil er die Legalisierung von Abtreibung bei akuter Lebensgefahr für die Schwangere vorsah, Frauenorganisationen ging er nicht weit genug, weil Gesundheitsgefährdung als Abbruchsgrund ausgeschlossen werden sollte. Alles blieb beim Alten.
Irland ist die erste Anlaufstelle für die „Sea Change“, die zwei Ärztinnen und eine Krankenschwester an Bord haben wird. Später soll das Schiff nach Südamerika und in andere Teile der Welt fahren, wo Abtreibung verboten ist. Konflikte sind programmiert. Als das Gerücht aufkam, dass die „Sea Change“ nach Malta reisen würde, kam es dort zu einem Sturm der Entrüstung. Katholizismus ist die Staatsreligion auf Malta. Der Vizepremierminister Lawrence Gonzi sagte: „Das ist gegen die Gesetze unseres Landes und die Werte unserer Gesellschaft. Wir werden jeden strafrechtlich verfolgen, der mit dieser holländischen Ärztin zusammenarbeitet.“
In Dublin will Gomperts jetzt die in Irland nicht zugelassene „Pille danach“ ausgeben. Falls sich eine Schwangere zur Abtreibung entschließt, wird man mit ihr auf die Irische See hinausfahren und den Abbruch außerhalb der Zwölfmeilenzone vornehmen. Die Abtreibungsgegner laufen Sturm gegen das Projekt. Im Internet kündigen selbst ernannte Lebensschützer aus den USA an, dass sie ein U-Boot mieten und die „Sea Change“ torpedieren werden. Ein anonymer Spender aus den USA hat Geld bereitgestellt, sodass die irische Sektion von Women on Waves eine Firma beauftragen kann, das Schiff zu bewachen. Das wird auch nötig sein, fürchten die Aktivisten. Youth Defence, eine Organisation von jungen Abtreibungsgegnern mit 4.000 Mitgliedern, veranstaltet jedes Wochenende in Dublin Demonstrationen. Dabei kommt es regelmäßig zu Handgemengen.
Nicht alle haben Zugang zu legalen Methoden der Familienplanung, sagt Ivana Bacik. „Ein Viertel der Weltbevölkerung lebt in den 74 Ländern, wo Abtreibung generell verboten ist“, sagt sie. „In vielen Ländern werden die Frauen strafrechtlich verfolgt, falls sie es tun. Jedes Jahr wird ein Viertel aller Schwangerschaften abgebrochen, 53 Millionen. Davon sind 20 Millionen höchst riskant, weil sie illegal vorgenommen werden.“ Diese Zahlen stammen von der WHO.
„Die Niederlande haben die niedrigste Zahl von Abtreibungen“, sagt sie, „weil sie neben der liberalen Gesetzgebung eine umfassende Aufklärung in den Schulen und ein Netzwerk von Familienplanungskliniken haben. Bei den jährlichen knapp 30.000 Abtreibungen kam es nur in 0,3 Prozent zu Komplikationen. Gestorben ist niemand.“
Rebecca Gomperts möchte, dass das niederländische Modell Schule macht. „Legal oder illegal“, sagt sie, „es gibt Abtreibungen, und Frauen verlangen danach. Untersuchungen haben bewiesen, dass die Sterblichkeit von Schwangeren dramatisch sinkt, wenn Abtreibung legal ist. Wir wollen, dass die Länder ihre Gesetze ändern. Das erreichen wir nur, wenn wir das Thema auf die Tagesordnung setzen.“
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