Zu heißer Stuhl

■ Sieben Jahre Innensenator Hartmuth Wrocklage: Eine notwendige Würdigung

Hartmuth Wrocklage wusste, dass der Sessel eines Innensenators der heißeste Stuhl der Stadt ist, als er am 21. September 1994 sein Amt antrat. Übernahm er es doch von Werner Hackmann, der wegen des Hamburger Polizeiskandals zurückgetreten war. Und während seiner inzwischen fast siebenjährigen Dienstzeit bekam der Jurist, der quasi über Nacht vom Staatsrat der Finanzbehörde zum Innensenator aufstieg, das immer wieder zu spüren: Selbst als 1998 bei der Polizei das neue Computersystem „Comvor“ nicht richtig laufen wollte, wurde das Wrocklage als persönliches Versagen vorgehalten.

Dass Wrocklage ausgerechnet jetzt seinen Hut genommen hat, ist allein mit dem Bürgerschaftswahlkampf zu erklären. Die größten Stolpersteine hatte er nämlich in der vorigen Legislaturperiode zu überwinden – und trotzdem hat er es in eine zweite geschafft.

Ein besonders schlechtes Jahr hatte der 61-jährige Jurist 1996. Erstmals wurde er von der eigenen Fraktion zurückgepfiffen, als er im März 1996 das Polizeirecht verschärfen wollte. Drogendealern wollte er für ein halbes Jahr das Betreten ganzer Stadtteile untersagen. AmtsrichterInnen, die Platz- und Gebietsverweise in der Vergangenheit regelmäßig aufgehoben hatten, wollte er die Kompetenz entziehen. Im Juli musste er nach nur neun Monaten seinen Polizeipräsidenten Arved Semerak entlassen, der sich den Ruf eines unfähigen „Frühstücksdirektors“ erworben hatte.

Im Herbst desselben Jahres brach der Streit um das so genannte Bettler-Papier aus: Zwar hatte das der damalige Bürgermeister Henning Voscherau ausgeheckt mit dem Ziel, Obdachlose von den „Visitenkarten der Stadt“ zu vertreiben. Er hatte aber seinen Innensenator die konkreten Maßnahmen formulieren lassen – und ihm die Verantwortung in die Schuhe geschoben. Stellvertretend für Voscherau musste sich Wrocklage für das Bettler-Papier rügen lassen. Das wurde schließlich entschärft.

Nachdem Wrocklage das Wahljahr 1997 vergleichsweise unbeschadet überstand, musste er im September 1998 zu Kreuze kriechen. Der Oberchef aller PolizistInnen räumte ein, versehentlich Fahrerflucht begangen zu haben. Mit dem Dienstwagen hatte er einen parkenden Jeep gestreift, aber keinen Schaden festgestellt und war deshalb weitergefahren, statt die Polizei zu rufen. Auf seiner Rücktrittserklärung fehlte nur noch die Unterschrift – die er dann nicht leistete, weil tags darauf keiner der sonst so kritischen Polizeireporter der Boulevardpresse seine Demission wegen so eines Kavaliersdeliktes verlangte.

Dass Wrocklage seine eigene Politik nur ungerne hinterfragt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er noch heute als „großen Fehler“ ein Ereignis von vor sieben Jahren beschreibt: 1994 hatte er bei einer Straßenschlacht um den Bauwagenplatz „Bambule“ im Karolinenviertel zu Leuten aus der linken Szene gesprochen. „Das würde ich heute nicht mehr tun“, sagte der Senator des öfteren. Er hat es auch nie wieder getan. Auch nicht, als voriges Jahr PolizeibeamtInnen in der Nacht zum 1. Mai über 100 Menschen die ganze Nacht in der „Roten Flora“ einkesselten und zwei Frauen krankenhausreif schlugen. Stattdessen lobte er den „besonnenen Polizeieinsatz“.

Im Sommer 1999 hatte der Innensenator die erste schwere Krise mit dem Koalitionspartner GAL zu verantworten. Aus der ihm unterstehenden Ausländerbehörde wurde ein internes Papier bekannt, in dem Amtsleiter Ralph Bornhöft Maßnahmen zur Steigerung der Abschiebezahlen vorschlug – und zeitgleich umsetzte. Vor allem, als er schwerkranke Flüchtlinge abschieben ließ, hagelte es zunächst vom Koalitionspartner, schließlich auch aus den eigenen Reihen Kritik. Im Ergebnis verständigte man sich mit der GAL auf ein Papier, in dem Leitlinien der Abschiebepraxis festgeschrieben wurden.

Dass seither die Abschiebung kranker Menschen und das Auseinanderreißen von Flüchtlingsfamilien auf der Tagesordnung steht, war für die übrigen Hamburger Medien kein Anlass mehr, den Innensenator zu rügen. Stattdessen hielt man ihm vor, dass nicht alle PolizistInnen kugelsichere Schutzwesten besitzen. Auch dass es in den vergangenen Monaten auf Hamburgs Straßen über ein Dutzend Aufmärsche von Neonazis gab, war für sie kein Grund zur Kritik.

Der Auslöser der Krise, die nun zu seinem Rücktritt führte: Angeblich wolle er einen Polizeisprecher nicht befördern, weil der kein SPD-Parteibuch hat. Elke Spanner