: Viel zu wenig Süssmuth-Zuwanderer
■ Was die Berliner Regierungskommission plant, hilft wenig, die Bevölkerungsmisere in Bremen zu lindern / Der Ausländer als „Konjunktur-Puffer“ genügt nicht
Die Vorschläge der Süssmuth-Kommission zur Zuwanderung nach Deutschland können das Schrumpfen Bremens kaum verhindern. „Wir brauchen viel mehr Zuwanderer als die derzeit in Berlin diskutierten bis zu 40.000 pro Jahr“, kritisiert der Politologe Frank Meng. „Für Bremen würden die Süssmuth-Pläne einen Zuwachs von grob geschätzt 400 Zuwanderern pro Jahr bedeuteten“, meint der Wissenschaftler von der Akademie für Arbeit und Politik, der gerade für die Ausländerbeauftragte eine Studie über Migration und Integration nach Bremen erstellt hat. Bremen brauche viel mehr Süssmuth-Zuwanderer: „Selbst wenn Deutschland Jahr für Jahr einen Wanderungsüberschuss von 200.000 Menschen erzielt, verliert Bremen bis 2050 rund 111.000 Einwohner, etwa die Größenordnung Bremerhavens“ prophezeit Meng. Das sei nur die positive Variante: Bei einem Überschuss von jährlich 100.000 Menschen nach Deutschland verliere Bremen bis 2050 sogar 173.000 Einwohner. Grund für die Schrumpfkur: Zu viele Alte, zu wenig Geburten, zu viel Abwanderung ins Umland. Meng: „Wenn es so weitergeht, laufen wir blind ins Verderben.“
Wenn von den 40.000 Süssmuth-Zuwanderern tatsächlich 400 nach Bremen kämen, wäre das schon viel, meint Meng. Die Stadt müsse ein positiveres Klima für die Menschen aus den Nicht-EU-Staaten schaffen. „Im Internet-Zeitalter wissen die angesprochenen Inder und Chinesen genau, was in Deutschland abläuft. Wir müssen sie integrieren, sie dürfen nicht nur als Konjunkturpuffer dienen.“
Auch die Bremer Bürgerschaftsfraktionen sehen nicht, wie die Berliner Vorschläge das Bremer Einwohnerproblem lösen könnten. CDU-Fraktionsvize Michael Teiser „begrüßt zwar, dass sich Koalition und CDU/CSU im Bund annähern.“ Allerdings fragt er: „Sind wir in Deutschland mit Gewalt dazu verpflichtet, auf immer 83 Millionen Einwohner zu haben?“ Weniger wäre auch nicht tragisch. Teiser: „Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland.“ Damit befindet er sich auf Gegenkurs zu seinem Fraktionschef Jens Eckhoff, der gerade mit der SPD eine Neubürgeragentur plant, um neue Einwohner für Bremen zu gewinnen. Teiser: „Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland.“ Die für Bremen mit dem Einwohnerschwund verbundenen Einnahmeverluste könnten auch durch eine Neustrukturierung des Länderfinanzausgleichs gemindert werden, meint Teiser. Hintergrund: Pro Einwohner verliert Bremen 6.500 Mark. Im vergangenen Jahr bedeutete das 39 Millionen Mark Einnahmeverluste aus dem Länderfinanzausgleich.
Auch SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen findet die „Berliner Richtung gut und richtig.“ Allerdings sei noch unklar, wie viel Zuwanderer Bremen überhaupt brauche. Böhrnsen: „Gleichzeitig müssen wir in Bremen werbend und einladend auf diese Menschen zugehen.“ Die geplante Neubürgeragentur solle sich deshalb verstärkt um Ausländer bemühen.
Selbst wenn die Süssmuth-Kommission „100.000 Einwohner in ihren Vorschlag reinschreiben würde, hilft das Bremen nicht“, kritisiert Karoline Linnert, Fraktionschefin der Grünen. „Wir müssen uns auf sinkende Einwohnerzahlen einrichten“, meint Linnert.
Bremens Schulen, Kindergärten und Universitäten seien im Vergleich zu den USA nicht attraktiv genug für Zuwanderer. „Schuld daran hat der Senat, der dafür sorgt, dass die Stadtteile ausbluten.“ Außerdem müssten die Menschen die Einwanderer akzeptieren. Vor allem die CDU sei gefordert. Linnert: „Vor zwei Jahren hat die Partei mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft noch Wahlen gewonnen. Jetzt trägt sie die Verantwortung, die Stimmung an den Stammtischen zu ändern.“
ksc
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen