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Drei Gegner sollt ihr sein

Der erste musste schon zweimal zurücktreten. Der zweite hat zu wenig Wähler. Und der dritte ist in der falschen Partei. Wahlkampf in Hartlepool

aus Hartlepool RALF SOTSCHECK

Man wird das Gefühl nicht los, dass es Männer von gestern sind, die sich um den Parlamentssitz im nordostenglischen Hartlepool streiten. Da ist Arthur Scargill, der „König der Kohle“, der seine Bergarbeiter in den Achtzigerjahren in den Streik führte, der gegen Tory-Premierministerin Margaret Thatcher verlor und heute kaum noch Mitglieder in seiner Gewerkschaft hat, weil es kaum noch Bergarbeiter gibt. Dann ist da Gus Robinson, der Kandidat der Tories, einer Partei von gestern, die keine Chance hat, die Wahlen am 7. Juni zu gewinnen. Und dann gibt es noch Peter Mandelson, den früheren Chefstrategen der Labour-Medienpolitik, der als einziger Politiker in der britischen Geschichte zwei Mal aus derselben Regierung zurücktreten musste.

Alle drei – und auch die anderen, chancenlose Kandidaten wie John Booth, der 1983 Mandelsons Stellvertreter im Labour-Pressebüro war und später dafür sorgte, dass die offizielle Mandelson-Biografie wegen Falschinformation eingestampft werden musste – sind davon überzeugt, dass sie ins Unterhaus einziehen werden. Aber nur einer kann es schaffen. Aufgrund des britischen Wahlsystems muss man in seinem Wahlkreis direkt gewählt werden, um an den begehrten Sitz zu gelangen, ein Listensystem gibt es nicht. So müssen die hoffnungsvollen Kandidaten klassischen britischen Wahlkampf betreiben: Klinken putzen.

Prinz der Dunkelheit

Mandelson hat sich dafür Owton Manor ausgesucht, die größte Sozialbausiedlung Hartlepools. 3.500 Menschen leben in den kleinen, grauen Reihenhäusern, die in den Fünfzigerjahren gebaut worden sind. Hier wohnen vor allem Rentner, Arbeiter und Arbeitslose – eigentlich Labour-Klientel. Doch Mandelson ist sich seines schlechten Rufs bewusst. „Prinz der Dunkelheit“ wurde er genannt, weil er als enger Vertrauter des Premierministers Tony Blair die Regierungspolitik stärker beeinflusste als so manches Kabinettsmitglied.

Dann bekam er einen Kabinettsposten als Industrieminister, musste aber schon bald aufgrund eines Finanzskandals zurücktreten. Nach einer kurzen Schamfrist holte Blair ihn zurück ins Kabinett, diesmal als Nordirlandminister. Doch wieder wurden Unregelmäßigkeiten in seinen Beziehungen zu einem Geschäftsmann bekannt, und er war den Job los. Diesmal endgültig, glaubten die Labour-Aktivisten, die ihn nie sonderlich mochten. Doch Mandelson hatte nicht die Absicht, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Er werde künftig für die Menschen von Hartlepool arbeiten, die er in seiner Zeit als Minister vernachlässigt habe, sagt er. Einen Kabinettsposten strebe er nicht mehr an. Das glaubt ihm keiner. Wenn er eine überzeugende Mehrheit erreicht, wird er schon bald wieder im Kabinett sein, stöhnen die Labour-Aktivisten. Er muss einen Vorsprung von mehr als 17.000 Stimmen verteidigen, im Grunde eine klare Angelegenheit, doch seit den Skandalen um seine Person hat das Labour-Parteibüro Hartlepool als „gefährdeten Sitz“ eingestuft und Sondermittel für den Wahlkampf bereitgestellt.

Für seinen Auftritt in Owton Manor hat er Anzug, Krawatte und Pomade im Schrank gelassen. Statt dessen trägt er ein offenes weißes Hemd, eine zerknitterte Freizeithose und zerzauste Haare. Seine Wahlhelfer, acht an der Zahl, sind ebenfalls gekleidet, als ob sie einen Wochenendausflug machen. Nur die beiden Sicherheitsbeamten tragen trotz der Hitze Anzug und Krawatte.

Als in der Churchill Street 150 ein tätowierter Mann die Tür öffnet, entkommt sein Hund. Mandelson jagt das Tier, bis er es am Hals erwischt und dem Eigentümer überreicht. Der verschwindet grußlos in seinem Haus und knallt die Tür zu. „Ich glaube, er wird niemanden wählen“, sagt Mandelson und wendet sich dem Nachbarhaus zu. Dort hat er mehr Glück. Mutter und Tochter, die sich im Vorgarten sonnen, lassen ihn ins Haus. Er darf sein Wahlplakat ans Wohnzimmerfenster kleben.

Ob sie ihn aber auch wählen werden? Sein Auftritt erinnert an einen Fernsehstar, man kennt ihn aus den Medien und freut sich, ihn in Fleisch und Blut zu sehen. „Die Leute glauben, dass Peter etwas für sie tun kann“, sagt sein Wahlhelfer Patrick, „weil er solch ein enger Freund von Tony Blair ist. Und es stimmt. Vor drei Jahren hat er dafür gesorgt, dass die Werft in Hartlepool einen wichtigen Auftrag bekam, sonst hätte sie schließen müssen.“

Der Nordosten Englands ist eine vernachlässigte Region, obwohl keine Gegend mehr Kabinettsmitglieder stellt als diese, nicht zuletzt Blair, der im benachbarten Sedgefield kandidiert. Aber Blair und Oppositionschef William Hague müssen sich nicht vor Ort sehen lassen, den Parteichefs sind die sichersten Wahlkreise vorbehalten. Sie beschränken sich auf choreografierte Foto-Gelegenheiten für die Presse.

Verräter an Herz und Seele

Anders in Hartlepool. Mit Sprechblasen kommt man hier nicht weit, es sind die lokalen Themen, die die 65.000 Wähler interessieren. Ende des 19. Jahrhunderts war Hartlepool, an der Nordsee gelegen, ein Zentrum der Schiffbauindustrie, die Kohle aus der Grafschaft Durham wurde in die ganze Welt verschifft. Kohle und Schiffbau gehören der Vergangenheit an, die Arbeitslosigkeit in der Region liegt bei zehn Prozent.

Mandelson ist in Eile. Mehr als zwei, drei Sätze und ein Händedruck sind nicht drin, das muss reichen für die Wahlstimme, denn sonst schafft er die Tour von Tür zu Tür nicht. Plötzlich taucht einer von Arthur Scargills Wahlhelfern auf. Der „King of Coal“ ist in der Parallelstraße unterwegs. Sein Wahlhelfer fordert Mandelson zu einer öffentlichen Debatte heraus, doch der winkt ab. „Wir haben hier in Owton Manor bisher nur drei Leute getroffen, die ihn wählen wollen“, sagt er. „Scargill ist bloß ein Anti-Mandelson-Kandidat.“ „Ja, natürlich“, antwortet Scargill. „Ich habe mit Mandelson 1995 debattiert, als Labour den Artikel 4 über das Eigentum an den Produktionsmitteln aus den Parteistatuten strich. Ich sagte zu ihm, er zerstöre Herz und Seele der Labour Party, und warnte ihn damals, dass ich ihn bei einer künftigen Wahl herausfordern würde. Vor vier Jahren hatte es keinen Sinn, weil damals noch die Tories an der Macht waren, aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen.“

Scargill trägt ebenfalls Freizeitkleidung, doch ihm glaubt man es eher als Mandelson. Er ist nach 29 Jahren Mitgliedschaft aus der Labour Party ausgetreten und hat die Socialist Labour Party gegründet. In Hartlepool hat er nur ein Parteimitglied, die 43-jährige Katherine Yarrow, die in ihrem Haus in der Raby Road Sandwiches und Tee für die Wahlkampfpause bereit hält. Selbst Yarrow glaubt nicht, dass Scargill gewinnen wird. „Aber sein Stimmanteil wird zeigen, wie stark der Wunsch nach sozialen Reformen in dieser Stadt ist“, sagt sie.

Nach der Pause geht es in die Innenstadt. Das Einkaufszentrum hat eine Rampe, an der alle vorbei müssen. Wird er noch oft auf seine Erzfeindin Maggie Thatcher angesprochen? „Nein“, sagt er. „Gar nicht mehr.“ Im selben Augenblick kommt ein älterer Mann vorbei und ruft ihm zu; „Du bist doch der Intimfreund von Thatcher, oder?“ Die ondulierte Lady hat sich pünktlich zum Wahlkampf zurückgemeldet und die Europäische Union verteufelt. Die meisten Zeitungen, selbst die Tory-Presse, quittierten das mit der Schlagzeile: „Die Mumie kehrt zurück.“ Ein Film gleichen Namens läuft gerade im einzigen Kino Hartlepools.

Scargill hat inzwischen einen alten Bekannten auf der Rampe des Shopping Centre getroffen. Steve Allison war langjähriges Labour-Mitglied. „Was machst du so?“, will Scargill wissen. „Ich bin Wahlkampfleiter für Gus Robinson“, antwortet Allison. Robinson ist der Tory-Kandidat. Die Konservativen haben Hartlepool zum letzten Mal 1959 gewonnen. Aber voriges Jahr verlor Labour den Stadtrat an eine Koalition aus Konservativen und Liberalen Demokraten, und deshalb ist Mandelson vorsichtig. Robinson muss ihm 20 Prozent abnehmen, um zu gewinnen, und das scheint nicht unmöglich, denn der Tory-Mann ist Bauunternehmer und einer der größten Arbeitgeber in der Stadt.

Der Affe muss hängen

Er ist populär in Hartlepool, nicht zuletzt, weil er Boxveranstaltungen sponsert. Er sieht selbst aus wie ein Boxer, und er hat einen Orden von der Königin für seine Verdienste um Hartlepool bekommen. In seinen Wahlkampfbroschüren erwähnt er nur im Kleingedruckten, dass er für die Tories kandidiert, denn er selbst ist zwar beliebt, die Konservativen sind es nicht. „Es wird eng, aber wir werden gewinnen“, glaubt er. „Wir müssen das Selbstwertgefühl dieser Region wieder herstellen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Gesundheitszustand schlecht, der Bildungsstand miserabel. Ich werde gewinnen.“

Der Herausgeber der Lokalzeitung Hartlepool Mail, Harry Blackwood, ist anderer Meinung. „In einer Stadt wie Hartlepool kannst du einem Affen eine Labour-Rosette ans Revers heften, und er wird gewählt.“ Aber Hartlepool hat historisch nicht unbedingt ein gutes Verhältnis zu Affen. Die Legende besagt, dass während der napoleonischen Kriege ein französisches Schiff vor der Küste Hartlepools gesunken sei. Der einzige, der es an Land schaffte, war ein Affe, der sich an eine Holzplanke geklammert hatte. Die Leute von Hartlepool verhörten ihn, aber weil sie ihn nicht verstanden, hielten sie ihn für einen französischen Spion und hängten ihn.

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