: DGB will humaner investieren
Der DGB diskutiert das Bremer Sanierungsprogramm – und findet es eigentlich gar nicht so schlecht. Nur müsste mehr Bildung sein, mehr öffentlicher Dienst und mehr Beschäftigung
Vor sieben Jahren startete das Sanierungsprogramm – an der Bremer Erklärung, die am Beginn diese Programms stand, waren auch die Gewerkschaften beteiligt. Nun haben sie zu einer Tagung geladen, auf der sie das Programm „kritisch diskutieren“ wollten, so die Vorsitzende Helga Ziegert. Immerhin sind die Wirtschafts- und Beschäftigungsdaten weit hinter den damals geäußerten Erwartungen zurückgeblieben. Aber – so der Tenor der Beiträge von Wissenschaftlern und Gewerkschaftlern – so schlecht steht Bremen gar nicht da.
Am Geist des Sanierungsprogramms, am Sparen und Investieren, will man daher nicht rütteln – wohl aber in Zukunft die „Beschäftigungseffekte der einzelnen Investitionsprojekte sehr viel detaillierter überprüfen“ (Ziegert). Und den Investitionsbegriff in Richtung Bildung und Humankapital erweitern. Ein Fazit, das schon mit dem Titel der Veranstaltung „Gewerkschaftliche Anforderungen an Arbeitsplätze und Lebensqualität im Stadtstaat“ mehr oder weniger feststand.
Gesundheitstouristen kommen
Die Gäste der Tagung beleuchteten die Problematik sinkender Einwohnerzahlen, setzten sich mit den jüngsten Erfolgsmeldungen zu Wachstum und Beschäftigung auseinander, und stritten darüber, ob Lebensqualität und Haushaltssanierung vereinbar sind.
Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aus Berlin verglich die Entwicklungstrends der Großstadtregionen in Deutschland. Über Jahrzehnte haben die Stadtregionen in der Bundesrepublik an Bedeutung verloren. Suburbanisierung heißt das Stichwort: Einwohner und Arbeitsplätze verschwinden aus der Stadt. Während Bremen bei den Einwohnern durchschnittliche Verluste zu beklagen hat, verschwinden überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze. Hätte die Stadt tatsächlich Einwohner dazugewonnen, wäre das einem „Weltwunder gleichgekommen“, so Gorning. Seit Beginn der 90er Jahre aber gibt es eine Renaissance der Metropolen – Bremen gehört nicht dazu. Städten wie Hamburg, Köln und Frankfurt gelingt es, die Suburbanisierung aufzuhalten. Besonders wichtig für diese positive Entwicklung sind die so genannten „exportfähigen Dienstleistungen“. Fast 60 Prozent setzten Hamburger Werbeagenturen, Ingenieurbüros und Software-Unternehmen im Bundesgebiet ab. Diese Dienstleistungen bringen, anders als die Arbeitsplätze in der Industrie, meist Jobs in die Cities. Martin Gornig empfiehlt, in den Gesundheits- und Weiterbildungsektor zu investieren. Im Multimedia-Sektor werde Bremen nicht mehr aufholen. Gornig: „Aber wir werden neben dem Kulturtourismus einen Gesundheitstourismus und einen Weiterbildungstourismus bekommen. Das bringt Kaufkraft.“
Thomas Lecke, Stadtplaner beim Bausenator, hatte sich das Thema Ab- und Zuwanderung vorgenommen. Auf Folien zeigte er: Die vielbeklagte Abwanderung von Kleinfamilien ins Bremer Umland ist konstant und „politisch scheinbar nicht zu beeinflussen“.
Lasst fahren dahin diese Leute
.Sein Fazit: „Lasst fahren dahin diese Leute. Es gibt noch andere wohnungspolitische Themen als das frei stehende Einfamilienhaus.“ Um die Fernwanderung von Ausländern und „jungen, innovativen Leuten“ anzuregen und sie zum Bleiben zu bewegen, müsse die Stadt an der Modernisierung des Baubestandes arbeiten. Raus mit den Wänden, große Altbauwohnungen anbieten, Wohnen am Wasser und im Hafen, die Trennung von Wohnen und Gewerbe aufweichen zugunsten gemischter Quartiere. „Arbeitsplätze sind wichtig, aber es müssen auch einfach Leute hierher ziehen. Die Infrastruktur der Stadt wird umso teurer, je weniger Menschen sie benutzen.“
Eine kleine, feine Industrie
Aber Arbeitsplätze muss es eben auch geben. Heiner Heseler vom Kooperationsbereich Universität- Arbeitnehmerkammer warnte davor, die gut 7.000 Arbeitsplätze, die im Jahr 2000 entstanden sind, als Sanierungserfolg zu interpretieren. Über die Jahre habe sich das Verhältnis von Produktivität und Arbeitsplätzen nicht gut entwickelt. „Von einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt kann man nach den 2000er Zahlen nicht sprechen, auch wenn Handelkammer und Senat das so darstellen.“ Heseler machte an Grafiken deutlich, dass die Bremer Wirtschaft sehr eng an konjunkturelle Entwicklungen in der Bundesrepublik gekoppelt sei. Ob und welche Effekte das Sanierungsprogramm in einzelnen Branchen gezeitigt hat, könne man wegen der schlechten Datenlage nicht sagen.
Tatsächlich habe Bremen zwischen 1992 und 1999 rund 30.000 Arbeitsplätze verloren, davon fast 22.000 in der Industrie. Während drastische Deindustrialisierungsprozesse die ganze Republik geschüttelt haben, sei in Bremen der Verlust von 9.000 Arbeitsplätzen in den traditionellen Dienstleistungsbereichen Handel, Gastgewerbe und Verkehr überdurchschnittlich hoch. Zugenommen hätten allein die unternehmensbezogenen Dienstleistungen. Aber das könnten, gibt Heseler zu bedenken, auch einfach outgesourcte Ex-Abteilungen der Unternehmen sein. Gemeinsam mit Dieter Reinken von der IG Metall plädierte er dafür, bei der Wirtschaftsförderung auf die bestehenden Großunternehmen aufzubauen und sogenannte Cluster zu bilden: Also Dienstleister anzusiedeln, die für die Industrie zuliefern. Heseler: „Und das ist in Bremen nunmal eher Logistik als Multimedia.“ Man müsse anknüpfen an die hochwertigen industriellen Kerne der Stadt. An Daimler Chrysler, an die Luft- und Raumfahrt, an die Stahlindustrie.
Und doch wird in Bremen Wirtschaftspolitik gemacht – und zwar mit viel Geld. Frank Haller, Architekt des Sanierungsprogamms und heute Chef des Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung, nahm erwartungsgemäß die Mahner-Rolle ein: Jetzt bloß nicht aussteigen aus der – seiner – Philosophie des Sanierungsprogramms! „Ich warne vor einer Umstellung der Strategie.“ Und: „So eine Strategie braucht Zeit.“
Der Klassiker Haller gegen Hickel
Bei den Beschäftigungszahlen sei ein Umschwung erreicht, nie habe es innerhalb der letzten zehn Jahre so viele offene Stellen in Bremen gegeben. Die Stadt habe an entscheidenden Stellen dazugewonnen. Aus dem Bahnhof – ehemals eine „Pissrinne“ – sei wieder ein Schmuckstück geworden, vor dem Universum stünden jeden Tag Busse aus der ganzen Republik. Das ist nach Haller erst der Anfang. „Haltet noch fünf oder zehn Jahre durch“, rät er. „Dass wir uns trotz der Vulkan-Krise schon wieder messen können mit anderen Großstädten zeigt doch, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Sein Kontrahent, der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, sieht eigentlich nur einen Punkt ganz anders. Der Investitionsbegriff ist ihm zu eng. „Zu wenig auf Humankapital ausgerichtet“. Zu einer sanierten Stadt gehörten öffentliche Dienstleistungen ebenso wie kulturelle und soziale Angebote. An Haller: „Die Galeristin Katrin Rabus, die Theatermacher Klaus Pierwoß und Norbert Kentrup haben mehr zur Standortstärkung beigetragen als Sie es sich vorstellen können“. hey
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