: Im Schneckentempo in die Europäische Union
Ab heute wird über Übergangsfristen beim Bodenerwerb nach dem EU-Beitritt verhandelt. Polen beharrt auf langen Fristen und schadet sich selbst
WARSCHAU taz ■ In Polen wird die Angst vor den Folgen des Beitritts zur EU immer größer. Die Regierung tritt nun auf die Bremse, wo sie nur kann, verkündet aber, dass das Beitrittsdatum 2003 nach wie vor aktuell sei. Seit die „heißen Themen“ in Brüssel auf dem Tisch liegen und das Hauen und Stechen um Privilegien und Pfründen begonnen hat, ist Polen in der so genannten ersten Beitrittsgruppe auf den letzten Platz zurückgefallen.
Auch in der heute beginnenden Verhandlungsrunde stellt Polen wieder Forderungen, die den Beitrittsprozess weiter verzögern werden, da sie völlig unrealistisch sind. 18 Jahre sollen ausländische Immobilieninteressenten auf den freien Zugang zum polnischen Markt warten. Erst dann nämlich – so meint die von der konservativen „Wahlaktion Solidarność“ gestellte Minderheitsregierung in Warschau – sei das Land für die Konkurrenz mit den alten EU-Mitgliedern bereit. Andererseits fordert die polnische Regierung die sofortige Freigabe des EU-Arbeitsmarktes für seine Bürger. Eine solche Position schürt aber die Ängste in der EU vor einer möglichen Überschwemmung des EU-Arbeitsmarktes mit „billigen“ Arbeitsmigranten noch mehr.
Auch die polnischen Medien haben diese Verhandlungsstrategie der Regierung längst als „kielbasa wyborcza“, als „Wahl-Geschenk“ erkannt, das sich aber bei den Parlamentswahlen im Herbst kaum in Stimmen für die regierende AWS auswirken wird. Die unflexible Verhandlungsstrategie schadet Polen mehr, als sie ihm nutzt. Das schien die Regierung längst eingesehen zu haben, als vor einigen Monaten Jan Kulakowski, der Hauptverhandlungsführer Polens, eine „weichere“ Linie gegenüber Brüssel ankündigte. Doch mit dem näherrückenden Wahltermin kehren die völlig unrealistischen Maximalforderungen zurück.
Nun kann Polen die Schuld für die Verzögerung des Beitrittsprozesses auch nicht mehr auf Frankreich, Spanien oder Portugal schieben, da diese sich in der Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit durchgerungen haben, sich der EU-Mehrheitsmeinung anzuschließen. Es wird also ab heute auch von der EU ein verhandlungsfähiges Angebot zur Fristenlösung bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit vorliegen.
Damit ist Deutschland wieder in der Rolle des Buhmanns der Nation. Denn bereits im schwedischen Malmö hatte Finanzminister Hans Eichel vor einigen Monaten gewarnt, dass man im Zweifel „das Beitrittsdatum noch einmal hinausschieben“ müsse, da der Beitritt zur EU die Kandidatenländer finanziell nicht überfordern dürfe. Die Polen reagierten auf die „Sorgen“ Hans Eichels mit einem Schrei der Empörung: „Diese Deutschen! Immer diese Deutschen!“
Tatsächlich kamen in der letzten Zeit die Hiobsbotschaften aus Brüssel meist aus deutschem Munde. Ob es nun der Erwerb von Grund und Boden ist oder die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt, ob es Umweltnormen sind oder gefährliche Tierseuchen wie BSE – immer ist es Deutschland, das warnt, droht, fordert oder einfach nur die schlechte Nachricht überbringt. So ist in Polen das böse Wort vom „deutschen Diktat“ wieder salonfähig geworden. Der Gewährsmann für die Umsetzung dieses „deutschen Diktats“ in der EU ist für viele Polen Günter Verheugen, der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar in Brüssel. Dieser „Interessenvertreter Deutschlands in der EU“ scheint verantwortlich zu sein für die vielen „Niederlagen“, die die polnische Verhandlungsmannschaft in den letzten Monaten hinnehmen musste.
Und auch die nächste Niederlage zeichnet sich ab. Als einziger Beitrittskandidat fordert Polen eine Übergangsfrist von 18 Jahren beim Kauf von landwirtschaftlich genutztem Boden und Wald durch Ausländer sowie beim Kauf von Ferienhäuschen mit Garten. Fünf Jahre warten sollen Investoren, die in Polen Fabriken bauen und den Boden darunter kaufen wollen. Der Grund für die langen Übergangsfristen seien die im Vergleich zu Westeuropa extrem niedrigen Immobilienpreise in Polen. In der offiziellen Begründung schreibt die Regierung aber auch, dass es – insbesondere im Grenzgebiet zu Deutschland, in Schlesien und Pommern – „historische Gründe“ gebe, die eine so lange Übergangsfrist erforderlich machten.
Zwar wurden 2000 ganze 3.500 Hektar Land oder 0,08 Prozent der Gesamtfläche Polens an Ausländer verkauft, dennoch bleibt Warschau dabei, dass die polnischen Immobilienpreise erst in 18 Jahren mit den westlichen gleichziehen würden.
Dieses von der Regierung vorgegebene Schneckentempo lässt auch die Polen die Geduld verlieren: je länger der Beitrittsprozess dauert, umso weniger Polen finden den Beitritt ihres Landes zur EU noch wünschenswert. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OPOB zufolge unterstützten im letzten Oktober nur noch 47 Prozent der Befragten den Beitritt, 17 Prozent waren gegen einen Beitritt, und ein sehr großer Teil enthielt sich. Die schwierigen Verhandlungen zwischen Warschau und Brüssel werden von den Medien wie ein Boxkampf geschildert, bei dem nach dem Gong meist Polen am Boden liegt und ausgezählt wird.
GABRIELE LESSER
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