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Im Hades der Heillosen

Die christliche Buchhandlung und der ewige Geist – eine Pfingstgeschichte aus Wien

Das Schaufenster der Rumpelkammer verströmt den Charme des gehäkelten heiligen Geistes

Sicher, einen nicht unerheblichen Vorrat an bestaunenswerten architektonischen, malerischen und skulpturalen Werken hat der christliche Klerus zu verantworten, doch seit der Einstellung der gotischen, romanischen und barocken und später alles verwurstenden Bau- und anderweitiger Auftragsvergabetätigkeiten brachte er im wesentlichen noch die Kirchentagskultur und eine besonders dämonische Buchhandelskultur zuwege; die aber standhaft den Wirren des postreligiösen Globalisierungszeitalters und zuvörderst den Schamlosigkeiten im gesamtgesellschaftlichen Bereich der „Sexualität“ (Pfarrer Sommerauer) tapfer entgegensteht und -wirkt. Weil sie nicht nur sämtliche Verona-Feldbusch- und Jenny-Elvers-Episteln nicht vorrätig hält, sondern auch sonst stoisch und störrisch den nicht eben segensreichen Wandel der „Moral“ (Bischof Dyba sel.) ignoriert, ja still und schlicht dementiert.

Nicht allein deshalb lag Karl Kraus falsch mit der Einsicht: „Wenn eine Kultur fühlt, dass es mit ihr zu Ende geht, lässt sie den Priester kommen.“ Nicht den Priester, sondern die kirchliche Buchhändlerin lässt sie kommen, und die will so schnell nicht wieder gehen. Sie will, au contraire, ungebrochen, graden Rückgrats, aufrechten Gangs, mit strenger Miene missionieren, komme, was und wer wolle.

Die Bibel, das meistverkaufte Buch der imbezilen Menschheitsgeschichte, „geht“ nach wie vor gut. Und da im aufgeklärten Buchhandel heute praktisch nichts mehr geht und in zivilisierten Innenstädten neben Buchkaufhäusern lediglich christliche Rumpelkammern zu überleben vermochten (synodische Geldspritzen? Der lange Arm des Vatikan?), findet man in Wien vis-à-vis des cityzentralen Billa-Shops, eines Äquivalents zu Aldi, nahe dem Stephansdom und zwei Sträßlein entfernt vom hinfälligen Figarohaus: eine christliche Buchhandlung.

Ecke Singerstraße/Blutsgasse steht sie, diese Buchhandlung. „Die Wiener Provenienz ist so odios, dass man sie nur den Erzeugnissen des Schwachsinns und der Lumperei verzeiht“, begutachtete Kraus den zweifelhaften Ruf des klerikal-österreichischen Kulturlebens. Das Schaufenster verströmt den Charme des gehäkelten heiligen Geistes, die niederträchtig ikonographische Pappgestaltung des Ambientes macht uns schaudern. Wir betreten das Geschäft, das in seiner verstörend vergammelt zeitlosen Form nicht mal auf dem flachen protestantischen Land zu gewärtigen wäre, wo aggressiv hinterwäldlerisch gewandete und hirschgeweihstarke Brillengestelle starrsinnig herumschleppende, psalmierend säuselnde Kerzenköppe ihre kirchenkulturbedingte Dummheit in ranzige Kundenbeflissenheit und strafend mahnende Demut gegenüber dem Käufer ummünzen.

„Guten Tag, wos könna mir helfen?“, buckelt eine bösartig verschnarchte Weibsperson heran. Wir sammeln die verbliebenen Reste des Muts, dessen es bedarf, ein Buch zu erwerben, und bringen unser Begehr zur Sprache. „Ich suche was Monografisches oder Biografisches zu Karl Kraus. Gibt es da so einen rororo-Band?“ – „Na, den homma net.“ – „Den rororo-Band?“ – „Den, äh, wie hoaßt der?“ – „Karl Kraus. Eine Darstellung seines Lebens.“ – „Hoat der waos mit Wean zu tuun? Sicher neeet. Den homma neet. Den kemma neet. Naa, do sind Sie ganz foalsch.“

Dagegen, gegen solch gnadenlose Ungeistigkeit, ist nichts zu sagen; nichts auszurichten. Dagegen sieht weder der gottlose „Kapitalismus“ (Joh. Paul II.) noch der Kunde eine Schnitte. Christliche Buchhandlungen bleiben, wo immer sie weilen, bis zum „Weltgericht“ (Kraus). „Gegen Sekten helfen keine Kanonen“, klagte Napoleon, und bevor ich ihn oder mich vergaß, floh ich die kirchliche Kulturhölle.

Ich war für Minuten zu nichts zu gebrauchen. Meine Freundin, die mich unweit des zwielichtigen Etablissements abfing, strahlte und schenkte mir ein original Billa-Feuerzeug. „Das musst du haben. Dann weiß jeder, dass du in Wien warst“, im Hades der Heillosen.

„Der Unsterbliche erlebt die Plage aller Zeiten“ (Karl Kraus), der Sterbliche die Plagen unsrer ewig gleichen Zeit, da die ewig gestrigen Ewigkeitsverwalter den Aufenthalt in ihr nicht abbrechen. JÜRGEN ROTH

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