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Impressionen aus dem Scheißhaus

■ Oldenburg: die gealterten Prog-Rocker von Jethro Tull beehrten die Weser-Ems-Halle

In der Pause vor dem Zugabenblock sitze ich auf dem Pott und rauche gemütlich. Von draußen weht rhythmisches Klatschen in die gekachelten Gefilde. Dann werde ich ungewollt Zeuge des folgenden Gesprächs zwischen zwei mittelalten Herren:

: Oh mann, 'n Rockkonzert mit Rauchverbot. Ich komm mir vor wie in der Schule. Gib mir mal Feuer.

(Geräusch: Feuerzeug)

A: Danke. Übrigens, ganz schön gewagt, dein T-Shirt. B: Wieso? Ist doch'n ganz normales Led Zep-T-Shirt. A: Eben. Jimmy Page hat doch Jethro Tull damals in Jethro Dull umgedichtet. Könnte sein, dass Ian immer noch wütend ist. B: Wusste ich gar nicht.

A: Ist aber auch kein Wunder, dass die Brüder aneinandergeraten sind. Led Zep ist schwanzgesteuert und Jethro Tull kopfgesteuert. Antagonistische Konstellation.

B: Mir gefällt das Wort „kopfgesteuert“ nicht. Hört sich an, als wär' in der Musik kein Herz drin ...

A: Doch, Herz ist schon drin, bei beiden. Bei Led Zep eben in Kombination mit Schwanz und bei Jethro Tull in Kombination mit Kopf. Obwohl ... einige Songs sind schon ziemlich herzlos. Zum Beispiel wenn die Progressivität auf die Spitze getrieben wird – hier noch'n Break, da noch'n Rhythmus- oder Tempowechsel – weil offensichtlich der Kraft des eigenen Songs nicht getraut wird ...

B: ... oder weil der ganze Song lediglich als Rahmen für Andersons Flötensoli herhält.

A: Aber sie haben auch schöne Sachen gemacht. „Wind Up“ zum Beispiel. Ist genau 30 Jahre her jetzt ...

B: Stimmt. Das Ding haben sie heute gar nicht gespielt. Vielleicht kommt's gleich als Zugabe.

A: Möglich. Auf jeden Fall müssen sie noch „Living in the Past“ bringen. Und „Locomotive Breath“. (singt:) In the shuffling madness – dadada dam dam dam! – of the locomotive breath – dadada dam dam dam! B: Was meinst du, Ian ist ganz gut in Form, ne? A: Absolut. Der steht doch unter Strom wie damals. Scheint ihm wieder besser zu gehen.

B: Ohne die langen Haare und mit dem gestutzten Bart sieht er richtig gepflegt aus. Und er spielt wahrscheinlich besser Flöte als jemals zuvor in seinem Leben. Überhaupt, die ganze Band ist verdammt gut. A: Ja, wundert mich auch immer, wo der auf die Schnelle Leute herkriegt, die dieses komplizierte Zeug spielen können ... blindes Verständnis,die ham sich nicht einmal verspielt.

B: Außer Martin Barre ist keiner mehr von damals dabei, ne?

A: Nö. Mit dem scheint er sich zu verstehen. Pass mal auf, die anderen sind bei der nächsten Platte wieder draußen.

B: Das wäre dann die siebenundzwanzigste LP oder so. Hast du eigentlich die neue?

A: Nee. Wie heißt die eigentlich?

B: J-Tull Dot Com.

A: Huch! Ich dachte, der alte Waldschrat hasst Computer.

B: Nix da, der bastelt sogar die Homepage selber. Musste mal ansurfen. Ist ganz nett.

A: Sag mal, was sollten eigentlich die Gimmicks mit den Mädels?

B: Du meinst die Frau, die bei „The Water Carrier“ mit ner Mineralwasserflasche über die Bühne gelaufen ist?

A: Ja, oder die, die die Tröte auf'm Mirkroständer rangeschleppt hat.

B: Keine Ahnung. Ist wohl Andersons Art von Humor.

(Das rhythmische Klatschen geht in Johlen unf Pfeifen über)

B: Hör mal, die sind wieder da.

A: Okay, lass uns rausgehen.

(Sie gehen. Ich betätige die Klospülung und folge ihnen.)

Tim Ingold

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