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herr tietz macht einen weiten einwurfFRITZ TIETZ über Arten und Abarten des Torjubels

Nur Kahn bleibt unimitiert

Neulich habe ich auf einem Bolzplatz gesehen, was ich vorher noch nie auf einem Bolzplatz gesehen habe. Die Fußballer, die sich dort zum Training versammelten, trainierten Torjubel. Der Trainer flankte die Bälle vor’s Tor, die Spieler schossen. Wenn einer ins Tor traf, musste er zeigen, was er jubelmäßig drauf hat. Vornehmlich war’s lauter, brüllender Jubel, der da geboten wurde, samt all den standardisierten Jubelgesten, wie man sie von den Profis aus dem TV kennt: hüftsteifes Freudentänzchen am Torpfosten, kräftezehrender Jubellauf über den halben Platz inklusive.

Auch die so genannte Kuntz-Säge war vertreten, mithin ein Jubel-Klassiker, benannt nach dem Stürmer a.D. Stefan Kuntz. Der pflegte nach erfolgreichem Torschuss einbeinig niederzuknien und den Unterarm samt geballter Faust auf Höhe seines Gemächts mehrmals vor- und zurückschnellen zu lassen, was gemeinhin als Sägebewegung bezeichnet wurde. Tatsächlich kopierte Kuntz damit aber eher den Akt der Begattung; nicht wenige, die ihm ob der Obszönität dieser Geste die Sitte an den Hals wünschten.

Auch der von Jürgen „Elferschinder“ Klinsmann erfundene „Diver“ (Taucher) kam beim Jubeltraining zum Vortrag, wobei sich allerdings der Vortragende das Knie gehörig aufschrappte. Einmal wurde sogar der alberne Ehering-Jubel-Kuss à la Carsten Jancker gebracht, wie auch jener hochdasbeinharte Jubel, den eben erst Gerald Asamoah nach seinem 1:0 gegen die Slowakei kreiert hat. Ebenfalls nicht fehlen durfte die in letzter Zeit häufig in der Bundesliga demonstrierte Variante, für die sich der Jubler das Trikot über das Gesicht zerrt, um dann, die Arme wie Flügel ausgebreitet, quasi im Blindflug eine Platzrunde zu absolvieren.

Vermisst habe ich in der Trainingsstunde allerdings jene Jubelvariationen, die gewisse darstellerische Fertigkeiten voraussetzen: Das von den frisch gebackenen Vätern unter den Torschützen immer wieder gern angedeutete Baby-Schaukeln etwa. Oder das nach Westernheldenart pantomimisch imitierte Ziehen und Abfeuern einer imaginären Pistole mitsamt Wegblasen der Schmauchfahne. Oder aber mein persönlicher Torjubel-Liebling, vor Jahren einmal von einem brasilianischen Nationalspieler dargebracht: die Hände an ein imaginäres Lenkrad geklammert, kurvte der nach seinem Tor wie mit einem Auto über den Platz. Damit wollte er seiner Verehrung für den kurz zuvor tödlich verunglückten brasilianischen Rennfahrer Ayrton Senna Ausdruck verleihen. Rührend.

Unimitiert blieb merkwürdigerweise aber Deutschlands derzeit wohl ausdrucksstärkster Jubler: Oliver Kahn, der Jubel-Berserker schlechthin. So auch beim Endspiel neulich um die deutsche Meisterschaft: Im Hamburger Volksparkstadion läuft jene berühmte 94. Minute, der verrückte Ausgleich fällt. Besinnungsloser Jubel bei den Roten. Am entfesseltsten aber jubelt wieder mal Kahn. Schon sieht man ihn irren Blicks gen Eckfahne fliegen. Dort packt er im Siegestaumel den weißen Stecken mit dem signalfarbenen Fähnchen oben dran, umgreift ihn prankenhaft, reißt ihn mit einem Ruck aus seiner Halterung, legt sich hintenüber. Rücklings liegt er dann im Gras, und hält dennoch nicht inne im Jubelrausch, er brüllt und zuckt, schüttelt und rüttelt dazu den Fahnenstab wie besengt. Einen Moment lang scheint es, als wolle er sogar reinbeißen in ihn oder in den Schritt sich rammen oder sonst wohin, schmeißt ihn dann aber bloß fort, rappelt sich hoch und rennt, ach was, ramentert, rattert, rabackelt davon. Später sieht man Kahn den Trainer Hitzfeld fast erdrücken und hört ihn dabei in einem fort rufen: „Nie aufgeben, hab ich gesagt, immer weitermachen, immer weiter.“ Das würde ich gerne noch mal in Zeitlupe hören.

Fotohinweis: Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

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