Drei Könige in vier Tagen

Nepals rasche Thronfolge: Sohn erschießt Vater, wird König, stirbt selbst und wird vom Onkel beerbt. Oder war alles anders?

von SVEN HANSEN

„Es war wie eine Schießerei an einer amerikanischen Highschool“, sagt Kunda Dixit, der Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung The Nepali Times und einer der führenden Intellektuellen des Himalaja-Königreichs.

Am Ende des Amoklaufs im Naryanhiti-Palast von Kathmandu waren am Freitagabend Nepals König Birendra Bir Bikram Schah, Königin Aiswarya und sechs weitere Mitglieder der Königsfamilie tot, mindestens drei weitere Angehörige wurden schwer verletzt.

Verletzt wurde auch Kronprinz Dipendra. Der älteste Sohn des Königs wurde in einem Militärkrankenhaus künstlich am Leben gehalten. Am Samstag erklärte Innenminister Ram Chandra Poudel dann der geschockten Öffentlichkeit, Dipendra sei für das Königsmassaker verantwortlich. Er habe erst seine Familie erschossen und dann die Waffe gegen sich selbst gerichtet.

Später nahm der Minister seine Aussage zurück. Denn Dipendra war zum neuen Monarchen ernannt worden, sein Onkel Prinz Gyanendra – der Bruder des erschossenen Königs Birendra – zum vorübergehenden Regenten. Gyanendra, der während der Bluttat nicht in Kathmandu war, erklärte am Sonntag dann einer ungläubigen Öffentlichkeit, eine automatische Waffe haben sich beim Familientreffen am Freitagabend explosionsartig „entladen“ und das schreckliche Unglück verursacht. Gyanendra selbst wurde dann am Montag zum König gekrönt, nachdem Dipendra gestorben war.

Kathmandus Gerüchteküche brodelte über. Nach unbestätigten Berichten von Palastmitarbeitern soll es am Freitagabend zwischen den Eltern und dem Kronprinzen zum Disput um dessen Heiratswunsch gekommen sein. Dipendras Favoritin war die 22-jährige Devyani Rana, Tochter des früheren Außenministers Pashupati Shumshere Rana und einer indischen Adligen, deren Familie einst die Maharadschas von Gwailior stellte.

Die Eltern opponierten. Nach einer Version, weil sie unbedingt an der Tradition einer arrangierten Ehe festhalten wollten, nach einer anderen, weil ihnen eine Braut aus dem Klan der Rana nicht genehm gewesen sei, da die Rana mit Birendras Schah-Klan immer um die Macht in Nepal konkurriert hatten. Dem widerspricht, dass Dipendras Mutter Aiswarya selbst eine Rana ist. Andere Gerüchte besagen, die Königin Aiswarya habe vor allem gestört, dass die Favoritin des Sohns gar keine reine Rana sei. Eine weitere Spekulation geht dahin, die Königin sei generell gegen eine Heirat ihres Sohns vor dessen 35. Geburtstag gewesen. Denn ein Orakel habe vorhergesagt, dass dies sonst den Tod des Vaters bedeuten würde.

Den Berichten aus ungenannten Quellen zufolge soll ein wütender Dipendra das Familientreffen verlassen haben und in Uniform mit einer, nach manchen Berichten auch zwei automatischen Waffen zurückgekehrt sein. Dann habe er die Türen verschlossen und seine Familienangehörigen erschossen. Als die Palastwachen schließlich in den Saal eindrangen, habe er eine Pistole gegen sich selbst gerichtet.

Als am Samstagabend die Leichname der Königsfamilie nach hinduistischem Ritus verbrannt wurden, bezeugten mehr als eine Million Menschen den Ermordeten Respekt. Der Regierung und dem neuen Regenten gegenüber herrscht dagegen Misstrauen. Sowohl der Variante des Unfalls wie derjenigen der Alleinschuld Dipendras wird nicht geglaubt.

Statt die Bevölkerung aufzuklären, sorgte die Informationspolitik von Regierung und Königshaus für Verunsicherung und Misstrauen. Schon gibt es Verschwörungstheorien, die besagen, Dipendra habe selbst eine Kugel im Rücken und es seien viel mehr Menschen erschossen worden, was auf einen gewaltsamen Umsturzversuch schließen lassen könnte.

Bereits am Sonntag gingen die ersten Demonstranten, die sich als Zeichen der Trauer den Kopf geschoren hatten, auf die Straße und forderten Aufklärung. „Dipendra ist unschuldig“, riefen sie, „bestraft die wirklichen Täter!“ Andere verlangten: „Weg mit Gyanendra!“

Gestern früh um 3.15 Uhr verstarb dann der neue König Dipendra. Ob die Geräte, die ihn künstlich am Leben gehalten hatten, einfach abgeschaltet wurden, blieb offen, und das führte zu weiterem Misstrauen. Am Vormittag ernannte der 125-köpfige Nationalrat Gyanendra zum neuen König, der kurz darauf von einem Hindupriester gekrönt wurde. In seiner kurzen Antrittsrede versprach er die Aufklärung des Königsmords und deutete an, dass dies nach dem Tod Dipendras leichter sei. Denn nachdem dieser zum König ernannt worden war, wurde er von der Verfassung vor allen Ermittlungen und Anklagen geschützt. Bereits gestern kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei, die eine Ausgangssperre verhängte und Schießbefehl erhielt. Mindestens ein Demonstrant kam nach Polizeiangaben ums Leben.

Die maoistische Guerilla, die nach Verschwörungstheorien auch in den Königsmord verwickelt sein soll und bisher auch für die Abschaffung der Monarchie bewaffnet kämpfte, lobte den ermordeten Birendra gestern wegen seiner „patriotischen Haltung“ und seines „liberalen politischen Verhaltens“ und sprach zugleich von einer „politischen Verschwörung“.

Eins steht fest: Was auch immer die Ursache des nepalesischen Königsmords war, er erschüttert die Glaubwürdigkeit von Königshaus und Staat. Nepal eint nur die Konfusion.