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Du sollst nicht nicht töten

Der 25-jährige Torero José Tomás verschont einen Stier. Publikum und Fachpresse in Spanien sind empört

Bilder wie beim Fußball: Das Publikum fluchte lauthals und warf alles von den Rängen, was nur zur Hand war. Einen solchen Skandal wollten sie sich nicht bieten lassen, schon gar nicht bei Eintrittspreisen von 50 Mark aufwärts. Der Stierkämpfer José Tomás stand regungslos, mit fahlem Gesicht da und ließ die drei Trompetensignale verstreichen. Anstatt seinen zweiten Stier an diesem Nachmittag zu töten, zog er sich hinter die Banden zurück. Ein Helfer verrichtete an seiner Stelle das blutige Handwerk. Der Torero musste die Stierkampfarena Las Ventas in der spanischen Hauptstadt Madrid unter Polizeischutz verlassen.

„Betrug, Unverschämtheit“, schrie nicht nur das Publikum, sondern schrieb am Wochenende auch die Fachpresse. Schließlich ist (oder besser: war?) José Tomás ein Star. Eleganz, Anmut, perfekte Figuren wurden dem 25-Jährigen zugesprochen. Jetzt droht ihm eine Strafe, die ihn seine Karriere kosten kann. Denn nicht zu töten, das ist nicht weniger als „fehlender Respekt vor dem Präsidenten des Platzes und dem Regierungsgesandten“.

Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass José Tomás das Publikum in Las Ventas erstmals in seinen Bann zog. Er triumphierte auf Anhieb auf dem Platz der spanischen Hauptstadt, der vielen als die Kathedrale des Stierkampfes gilt. Längst war der junge Torero kein Unbekannter mehr. Zuvor hatte er in Mexiko ein Jahr lang unter frenetischem Applaus des Publikums gekämpft. Meist verließ er die Arena durch das große Tor auf den Schultern seiner Anhänger, die größte Ehre, die einem Stierkämpfer zuteil werden kann.

José Tomás, der heute zu den meistprämierten Stierkämpfern Spaniens gehört, kämpft mit langsamen Bewegungen. „Es soll natürlich und nicht gezwungen wirken“, erklärt er immer wieder. Am fraglichen Nachmittag in Las Ventas jedenfalls wurde er dieser Prämisse nicht gerecht. Nichts wollte ihm gelingen. Als er vor seinem zweiten Stier stand, war er – so Joaquín Vidal, Stierkampfkritiker in Spaniens größter Tageszeitung El País – „bereits von der Niederlage gezeichnet“. Der Stier sei ihm zu lahm gewesen, versuchte sich José Tomás später zu entschuldigen. Wer den Torero hinter den Banden hat stehen sehen, will das nicht glauben. Mit wirrem Blick verfolgt er, wie ein Gehilfe den Stier tötet. Was in ihm vorging, weiß nur er selbst. Ob ihm Bilder in den Kopf kamen von jenem 18. Februar 1996, als er in Autlan de la Gana in Mexiko von einem Stier erfasst und schwer verletzt wurde, oder ob ihn einfach so der Mut verließ, darüber wird sicher noch viel spekuliert werden.

Nur die wenigen, dafür aber umso erbitterten Gegner von José Tomás, die nie an sein Talent glaubten und ihn immer für das Produkt eines zum Showbetrieb verkommenen Stierkampfes hielten, reiben sich die Hände und schreiben ihren Verriss.

Einer der Kritiker von José Tomás ist Joaquín Vidal von El País. „Er spielte sich zum Außerirdischen auf. Und das wird er auch sein. Aber die wahre Stierkampfkunst hat er nie gelernt. Sie ist für ihn eine große Unbekannte“, urteilte der Journalist, dessen Feder viele Toreros mehr fürchten als die Hörner des Stieres.

Jetzt hat José Tomás noch ein weiteres Problem am Hals: Die Tierschutzorganisation Amnistia Animal erstattete ob des Stierverschonens Anzeige gegen ihn wegen unnötiger Tierquälerei. REINER WANDLER

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