: Profitable Reue vor ausverkauftem Hause
■ Ein Jahrzehnt Werbebranche gebeichtet: Literatur-Star Frédéric Beigbeder im Literaturhaus
„Man müsste“, heißt es bei Frédéric Beigbeder, „einen Roman schreiben mit dem Titel: Die Liebe kostet 3000 Francs.“ Geradezu discountmäßig dagegen der Titel seines tatsächlichen Buches: Neununddreißigneunzig – zugleich der Ladenpreis (ab 1.1.2002 vermutlich 19,90 Euro). Und: Es geht darin kaum um Liebe. Allerorten mit Attributen wie „bitterböser Insiderroman“ beziehungsweise „Skandalautor“ belegt, wurden Buch und Autor zu einer Sensation nicht nur in den Feuilletons: Mehr als 300.000 in Frankreich verkaufte Exemplare seiner „Beichte“ versüßten dem Nestbeschmutzer die Entlassung seitens einer großen Werbeagentur. Das wiederum war ja erklärtes Ziel der Übung, zumindest wenn man – mitunter verlockend – Beigbeder mit seinem Protagonisten/Erzähler Octave Parango verwechselt: „Ich schreibe dieses Buch, um gefeuert zu werden.“ Nach gut bezahlten Jahren als Kreativer will Octave nun seine Seele retten – als reuiger Sünder berichtet er aus dem „fruchtbaren Schoß der Bestie“, jenes Konsum-Faschismus, den er in Werbepausen und auf Plakatwänden erkennt. „Ich befand mich im Innern einer Maschine, die alles zermalmte, was ihr in die Quere kam, und ich habe nie behauptet, dass es mir gelingen würde, ungeschoren davonzukommen.“
Octave berichtet vom Ringen um die Werbeetats von Kunden, deren Umsatz den Haushalt kleiner EU-Staaten übersteigt, und vom teuren Ennui jener paar Jahre, die sich der Stand der Kreativen zum Erbringen von Lebensleistungen gibt. Spätestens, wenn die zugekoksten Werber in Florida eher beiläufig eine Rentnerin ermorden, weil sie und all die anderen „Aktionäre von Pensionsfonds, denen Firmen auf der ganzen Welt gehören“, doch für deren Profitgier verantwortlich seien, drängt sich als Assoziation die zuweilen wohlfeile, zuweilen pointierte Konsumismuskritik Bret Easton Ellis' auf. Von der erhabenen Sinnentleertheit des American Psycho freilich bleibt Beigbeder immer ein gutes Stück Kaltblütigkeit entfernt. Bei aller Klarsicht zeigt seine ganz und gar nicht „wahnsinnige Mischung aus Romanfragmenten, ideologiekritischen Essays zum Thema Weltmacht Werbung und zynischen Anekdoten“ (Klappentext) Beigbeder immer als Moralisten. Vielleicht nicht eben, was man vom engen Freund Michel Houellebecqs erwartet hätte.
Und was diktierte Beigbeder, der wiederholt auf die Ambivalenz seiner Position angesichts einer bis zum Ersticken toleranten Branche, die um den Paradiesvogelwert der eigenen Kritiker sehr wohl weiß, noch der Zeit? „Der Erfolg des Buches zeigt, wie gefährlich die Waffe Werbung ist. Wichtiger noch als der Roman ist der ganze Rummel, die Fernsehauftritte, dieses Interview, die Lesungen.“ Heute Abend wird der 35-Jährige im Literaturhaus mit Marc Schweiger von Scholz & Friends auf einen (ehemaligen) Kollegen treffen. Es moderiert Niklas Maak (SZ), Didier Gammelin übersetzt und Martin Maria Blau liest den deutschen Text.
Alexander Diehl
Die heutige Veranstaltung im Literaturhaus ist ausverkauft. Frédéric Beigbeder: Neununddreißigneunzig, Reinbek 2001, 288 Seiten, DM 39,90
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