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Im Spaßbad vor Hawaii

Der Krieg im didaktischen Seifenopernformat, ohne Rauch, ohne Blut, ohne Ironie und ohne Sex: „Pearl Harbor“ von Michael Bays ist der erste vollkommen kindgerechte Kriegsfilm

Die Männer rauchen nicht, sie fluchen nicht, sie reden ständig von Werten,von Ehre, Pflicht, Heldentum und davon,fürs Vaterland zu sterben

von BRIGITTE WERNEBURG

Die Strategie, die im einen Krieg den Sieg bringt, wird im nächsten zum Fallstrick werden, besagt eine These. Für die großen Schlachten an der Kinokasse scheint sie nicht zu gelten. Produzent Jerry Bruckheimer und Regisseur Michael Bay („Armageddon“ und „The Rock“) haben ihr neuestes Schlachtschiff ziemlich genau so gebaut wie James Cameron vor drei Jahren seine „Titanic“.

„Pearl Harbor“, nun der teuerste Film aller Zeiten, bemüht eine große, schicksalhafte Liebesgeschichte, um ein nicht minder großes und erschütterndes Ereignis der Weltgeschichte zu schildern. Was dem einen 1912 das Desaster des Luxusdampfers war, ist dem anderen 1941 die Zerstörung der amerikanische Seestreitmacht, die in Hawaii auf ihren Pazifikeinsatz wartet. Was dem einen der Klassenunterschied war, ist dem anderen das Dreieck, das die Liebesgeschichte kompliziert und ihre Protagonisten zu tragischen Figuren macht. Natürlich liegt das Motiv „Casablanca“ auf der Hand. Und „Casablanca“ ist nun wirklich unsinkbar.

Harmlos und hölzern: in diesen zwei Worten lässt sich Michael Bays Verschnitt zusammenfassen. Das Drama der Liebesgeschichte ist schön chronologisch übersichtlich, und den Schauspielern werden ihre Rollen ausgehändigt wie den Soldaten ihre Essensrationen. Hier eine Portion Stress, dort die Betroffenheit über den Betrug des Freundes, und hier den Cream Cheese der ersten Liebesnacht in den aufgehängten Fallschirmen. Die Übersichtlichkeit von Plot und Schauspiel ist zielgruppengerecht: „Pearl Harbor“ will der erste vollkommen kindgerechte Kriegsfilm sein. Es gibt in den USA diesen Trend zur Kriegsdidaktik. Stephen E. Ambrose, der berüchtigte US-amerikanische Militärhistoriker für den Krieg im Seifenopernformat, ist sein Vorreiter. Interessanterweise hat er mit seinem aktuellen Buch erstmals den europäischen Kriegsschauplatz verlassen und sich dem Pazifik zugewandt, um mit „The Good Fight“ „Das Kinderbuch über den Zweiten Weltkrieg“ vorzulegen, wie sein Verleger kundtut. Der Krieg im fernen Osten scheint für amerikanische Kids besonders geeignet.

Mit Kindern, genauer zwei Jungs vom Land, beginnt denn auch Michael Bays Film. Bauernjungs wirken eben gesünder und amerikanischer als abgebrühte Großstadtgören. Dazu kann man den Knirpsen auch leichter ein Flugzeug unterjubeln, denn mit dem versprüht Rafes (Ben Affleck) Vater Insektizide. In einem unbeobachteten Moment kapern die Jungs das Flugzeug, starten und vermeiden nur mit knapper Not eine Bruchlandung – der Beginn einer langen Freundschaft.

Sie führt die beiden, wen wundert's, ins U. S. Army Air Corps und von hier aus in den Zweiten Weltkrieg. Es ist ein merkwürdiger Krieg. Und weil es um den „Good Fight“ geht, ist dann gleich alles und jeder gut: Die Offiziere lieben ihre Männer, die Männer lieben ihre Mädels und die lieben natürlich die Männer, die wiederum ihre Offiziere lieben. Die Männer rauchen nicht, sie fluchen nicht, sie reden ständig von Werten, von Ehre, Pflicht, Heldentum und davon, fürs Vaterland zu sterben. Sie machen nicht eine zynische Bemerkung, denn die würden Kinder genauso wenig verstehen wie Ironie.

So plätschert „Pearl Harbor“ in den ersten eineinhalb Stunden vor sich hin, erzählt von der Liebe Rafes zu Evelyn (Kate Beckinsale), der Krankenschwester, die ihn trotz seiner Dyslexie voll tauglich schrieb, berichtet von seinem Abschuss über dem Atlantik, wo er als Freiwilliger bei der Royal Air Force kämpft. Merkwürdigerweise schreibt er von England aus – trotz Dyslexie – voll taugliche Liebesbriefe. Irgendwann wird Rafe vorübergehend vermisst, womit der schicksalhaften Dreierkonstellation nichts mehr im Weg steht.

Endlich sind auch die Japaner im Anflug, und „Pearl Harbor“ wird von diesem Augenblick an in Perfektion, was er vom ersten Geplätscher an werden will: eine Spaßbadrutsche, die immer mit noch einer Kurve, einem Tunnel, einer Fontäne und einer kurzen Tauchstrecke aufwartet und nie zu enden scheint. Am tollsten ist es, wie Bay mit seiner Kamera erst dem Flugzeug folgt, bis der Torpedo ausgeklinkt wird und danach dem abgeschossenen Flugkörper hinterherfährt, bis zur großen Explosion.

Anders als bei Spielberg nimmt die Kamera bei Bay nicht die Perspektive der Waffe ein, die ihr Ziel anvisiert. Für ihn ist die Kamera ein Beobachtungs-, kein Kampfinstrument, er will wissen, wie die Bomben ins Ziel kommen, wie die Schiffe die Flugzeuge tragen und die Flugzeuge die Bomben, wie die Piloten ihre Flugzeuge navigieren, damit das große Feuerwerk angerichtet werden kann. Alles ausgesprochen kindgerecht, nach dem Prinzip „Was ist was?“ Die Rasanz, mit der er in dieser Weise die Schlacht inszeniert, zusammen mit dem Fetisch der großen Explosion, erspart es ihm denn auch, in größerem Umfang Verletzungen, abgetrennte Glieder und zerfetzte Körper zeigen zu müssen. „Pearl Harbor“ ist nicht nur rauch-, ironie- und sexfrei, sondern auch nahezu blutlos.

Natürlich bewähren sich die Quaijungs auch im Chaos von Pearl Harbor und bringen ihre Maschinen zum Kampfeinsatz. Dafür dürfen sie dann noch an einem Geheimkommando nach Tokio mitfliegen, das an die 140 Pearl-Harbor-Minuten angepappt ist. Denn seine vierzig Minuten Rache für das große Schiffeversenken vor Hawaii braucht Hollywood schon. Ich glaube, älter als achtzehn sollte man nicht sein, falls man erwägt „Pearl Harbor“ zu sehen. Danach hat man andere Fragen, was die Geschichte hinter der Geschichte angeht, und ahnt, dass Kino nicht nur aus gestyltem Licht, wildem Kamera-Traveling und perfekter Computernanimation besteht. Definitiv wird man dann auch die sinfonisch regelmäßig an- und abschwellende Filmmusik nicht mehr abkönnen, die Hans Zimmer in bekannter Manier hingehunzt hat.

„Pearl Harbor“, Regie: Michael Bay. Mit Ben Affleck, Kate Beckinsale, Josh Hartnett, Alec Baldwin u. a., USA 2001, 180 Min.

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