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Komplexere Dinge des Lebens

■ Serdar Somuncu liest in Schulen aus „Mein Kampf“

Die Schüler rutschen auf ihren Stühlen herum. Das Gelächter und Gemurmel wird nicht viel leiser, als Serdar Somuncu die Aula des Kaifu-Gymnasiums betritt. Der Schauspieler ist gekommen, um aus Hitlers Mein Kampf zu lesen. „Ihr seid jung, dynamisch und kurz vor der Volljährigkeit. Es ist Zeit, sich neben Drogen und Frauen auch mit den komplexeren Dingen des Lebens zu beschäftgigen.“ So bringt er alle zum Lachen und auch die Gelangweilten dazu, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Somuncu beginnt mit der Entstehungsgeschichte des Buches, das während des Nationalsozialismus „ein Geschenk für jede Gelgenheit“ war. Gelesen wird in der Vorstellung wenig. Den größten Teil der zwei Stunden seziert Somuncu Textpassagen, deckt Widersprüche auf und nimmt dem verbotenen Buch damit seine Mystik.

Somuncus Parodie auf den Führer, am Ende nur noch ein Knarzen und Zischen, ist seit Chaplins Der große Diktator nicht mehr besonders orginell. Es scheint ihm auch mehr darum zu gehen, die Jugendlichen aufzurütteln. Der Schauspieler möchte vor allem die desinteressierten Schüler für sich gewinnen. Dazu bedient er sich Kalauern im Stil von Michael Mittermaier. Aber in seinem Fall heiligt der Zweck die Mittel. Es herrscht absolute Stille, als er erzählt, dass Bertelsmann in Großbritannien die englische Ausgabe von Mein Kampf verbreitet.

Somuncu möchte die Doppelmoral einer Gesellschaft aufde-cken, in dem sich der Aufstand der Anständigen in ein paar Lichterketten erschöpft, während in Braunau weiter Führertourismus betrieben wird. Bei den Schülern zeigt sein Versuch zumindest kurzfristige Wirkung. Nach der Vorstellung bekommt er donnernden Applaus.

Michaela Soyer

Informationen über Serdar Somuncu und die Lesung gibt es bei umdenken Tel.: 389 52 70

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