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Bettina Wegner ist super

■ Die „Nacht der DDR-Kultur“ verwandelte das Rathaus in einen Kulturclub

Die untere Rathaushalle ist zur Zeit ex-territoriale Zone. Schlagbaum, Schaufensterpuppen in VoPo-Uniformen, finstere Sache das alles. Aber es geht ja auch um die „Justiz im Staat der SED“, angeprangert in einer Wanderausstellung der Bundesjustizministerin. Handschellensammlung, Schlagstöcke und ein Altpapiercontainer mit „Akten eines DDR-Kreisgerichts“ symbolisieren augenfällig das Thema. Nicht ganz so auffällig aber ärgerlich: Siegmar Faust, der sächsische Skandal- und Ex-Stasibeauftragte ist mit seinem Buch „Ich will hier raus“ vertreten, auf dessen Titel ihn die CSU an Gitterstäben rütteln lässt. Unter Ex-DDlern gilt Faust als extrem unglaubwürdig, allein schon wegen seiner falschen Angaben über die Umstände seiner Ausweisung 1982.

Das Gute an der ganzen Angelegenheit: als Rahmenprogramm zur Ausstellung organisierte die Sieger-Justiz eine lange Nacht der DDR-Kultur, ein Stockwerk höher. So also kamem wir in den Genuss, Bettina Wegner zwischen den unbeirrt in der oberen Rathaushalle kreuzenden Fregatten stehen zu sehen, aufrecht, umgeben von hanseatischem Prunk, schnörkellos von den kleinen Händen singend.

Gekommen war vor allem die Generation, die nach Anhören des Liedes Bremens autonome Kindergartenlandschaft gegründet hat. Dazwischen auch vereinzeltes Jungvolk wie die Bremer Abiturientin Annina Bleek. Wegner war für sie pränatale Beschallung, doch Annina ist auch aus zukunftsweisenden Gründen zum Konzert gekommen: „Ich muss mich auf mein Studium in Erfurt vorbereiten.“ Dann die Analyse: „Bettina Wegner befindet sich auf einer derart intensiv emotionalen Ebene, dass sie einfach nicht angreifbar ist.“

In der Tat: Die monochordische Gitarre, die stufenlose Dynamik à la Barockorgel (entweder durchschlagend oder übergangslos sanft flehend) – der Wandervogel-Purismus der Wegnerschen Darbietung behauptet sich mühelos inmitten der Bremer Prächtigkeit. Kurz: Bettina Wegner ist eine Person, die auch sagen darf: „Wer einen Menschen rettet, rettet so die ganze Welt.“

Mit Erich Loest verhält es sich ein bisschen anders. Der sächselnde Schriftsteller (1988 in den Westen abgeschoben) las aus seinem gerade erschienenen „Reichsgericht“, das Nikolaikirchengenährte Hörerwartungen unbefriedigt ließ. Zuhörer Franz Schlauchmann: „Das war öde.“ Deswegen gleich weiter zu Stephan Krawczyk, der in Sachen populäre Oppositionskultur und Ausweisung eine Art Staffettenwechsel mit Bettina Wegner vollzog.

Das Bremer Publikum wurde Zeuge von zweierlei DDR-Emotionalitäten: Die bei Bettina Wegner so wohltuende Abwesenheit eines künstlerischen Anspruchs sucht man bei Krawczyk vergebens. Er performed mit Biermann-Pathos, modulierte mit seinem Stimmorgan dass die Fregatten schwankten und singt dann noch Tierlieder à la „Ich wär so gern ein Jaguar“. Man müsste ihn einen Rolf Zuckowski des Ostens schelten, wäre da nicht die Tatsache, dass er wegen solcher Musik leibhaftig im Gefängnis saß. Und wenn er von der Schweigepflicht im Knast erzählt und von Situationen mit seiner Freundin Freya Klier, die fünf Betonmeter weiter einsaß, merkt man: Diese Biographie hat einen Hintergrund, der unseren eigenen Erfahrungen sehr fremd und deswegen irgendwie respektabel ist.

Publikumsliebling des DDR-Abends blieb aber unstrittig 110-Kommissar Uwe Steimle – zumal der die Sache mit DDR-Vergangenheitsbewältigung, Geschichtsschreibungshegemonie und Systemvergleich mit einem kleinen Dialog zweier Alt-DDRler auf den Punkt brachte: „Wie lange ham wir den gebraucht, um den Sozialismus in die Knie zu zwingen?“ – „So 40 Jahre?“ – „Sehn Se: Wer sagt denn, dass das hier nicht nochmal klappt!?“ HB

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