barbara dribbusch über Gerüchte
: Die Schönheit der Ruinen

Die Älteren sind im Kommen, heißt es. Alles gelogen. Die Wahrheit ist besser – und schrecklicher

Stellen Sie sich vor, Sie erwachen eines Morgens, und auf Ihrer Bettkante sitzt ein Bild-Reporter samt Fotograf. Er will über Sie eine Home-Story machen zur Serie „Alt werden leicht gemacht – Experten berichten“. Was tun Sie? Weiterschlafen? Herumschwätzen? Oder sich professionelle Hilfe holen? Ich hole mir schon lange professionelle Hilfe. Bei Steffen.

Steffen führt ein Psychoberatungscenter in Sachen Schönheit und Verfall, das er als Szene-Friseursalon getarnt hat. Vor allem Frauen, aber auch viele homosexuelle Männer sind seine Kunden. Seit 15 Jahren schaue ich alle zwei Monate gemeinsam mit ihm in den Spiegel, zwei Stunden lang. Sätze wie: „Mit dem Alter wird man selbstbewusster“ kommen hier nicht über die Lippen, denn lügen ist überflüssig.

Steffen hat mir einen wichtigen Unterschied erklärt, als ich neulich mal wieder auf seinem Friseurstuhl Platz nahm: Es gibt das Minus-40-Mark-Alter und das Plus-40-Mark-Alter. Wenn er heute in die Sauna geht und mit einem Jüngeren Sex hat, dann kann es ihm passieren, dass der anschließend meint: ‚Du, jetzt hätte ich aber gern 40 Mark von dir.‘ „Früher wäre das nie vorgekommen“, sagt Steffen. Er ist jetzt 41 Jahre alt.

Zwei Drittel unseres Lebens schauen wir dem eigenen Verfall zu, steuere ich bei. Ich habe das mal ausgerechnet. Als ich 29 Jahre alt wurde, hörte ich zum ersten Mal den Satz: „Was? Schon 29! Du hast dich aber gut gehalten.“ So ging das weiter, immer der gleiche Satz, nur mit wechselnder Altersangabe. Nun schon seit 15 Jahren. Und wahrscheinlich noch weitere 30, 40 Jahre. Homosexuelle und Frauen schauen dem Verfallsprozess offener ins Auge, während viele heterosexuelle Männer insgeheim hoffen, mit beruflichem Aufstieg den körperlichen Abstieg ausgleichen zu können.

Die Hierarchien in der Gesellschaft sind wahrscheinlich nichts anderes als die geronnene Altersangst der männlichen Heterosexuellen, denke ich, während Steffen einige meiner Strähnen nachblondiert. Die ganze Konkurrenz im Betrieb – alles nur Altersangst!

Frauen sind jedenfalls immer wieder überrascht, mit welcher Gnadenlosigkeit Männer das Alter eines männlichen Jobkonkurrenten ins Spiel bringen, wenn er nur 4, 5 Jahre älter ist. „Ach XY, der ist schon 48 und hat Angst, dass ihm die Felle davonschwimmen!“ Oder: „Na, mit 52, da klebt er doch an seinem Job wie eine Fliege an der Abfalltüte!“

Mein New Yorker Freund Simon ist 42 und vom downsizing in seinem IT-Großunternehmen bedroht. Was sagte ihm ein jüngerer Kollege und Konkurrent: Er müsse sich nicht so viel sorgen, schließlich gebe es in den USA Gesetze gegen Altersdiskriminierung.

In der Werbung gelten andere Regeln, da zählt das Geld. Simon, Steffen und ich gehören zu einer wichtigen Zielgruppe: Wer die 40 überschreitet, wird dem pre-senior-Alter zugerechnet. Wenigstens etwas, wo auch ich „pre-“, also gewissermaßen noch davor bin. Sonst ist man in meinem Alter doch eigentlich schon „post“.

„Die meisten Leute sind ‚post‘ “ meint Steffen ungerührt, während er mich zum Waschtisch geleitet. Zum Beispiel einer seiner Kunden aus der Neuen Ökonomie, erst 35 sei er, im vergangenen Jahr dreimal in Wirtschaftsmagazinen abgebildet und jetzt: vorbei. Den Gipfel seiner Karriere hat er hinter sich und noch 30 Berufsjahre vor sich, in denen er den Höhepunkt seines Berufswegs schon hinter sich gebracht haben wird.

Die meisten Menschen in Deutschland sind „post“, aber darüber redet man so wenig wie früher über den Sex. Nur wenige wissen ja, dass es sinnlos ist, gegen das Alter ankämpfen zu wollen, kläre ich Steffen auf. Sport zum Beispiel: Mit Sport kann man den automatisch durch das Altern einsetzenden Muskelschwund nicht bekämpfen, das ist biologisch erwiesen. Die Muskeln schwinden nämlich in jedem Fall, durch Fitnesstraining werden die verbliebenen Muskeln nur verdickt. Restliche Muskeln verdicken! Das kann nicht der Sinn des Lebens sein. Steffen klappert mit der Schere durch meine Haare.

Nicht jeder Verfall muss doch hässlich sein, überlege ich. Dieses kindliche Gefühl beispielsweise, diese Mischung aus Nostalgie, Wehmut und Neugier, mit der ich als Kind in Burgruinen herumstöberte. Ich liebe Ruinen!, sage ich zu Steffen, während der warme Wind des Föhns meine Backe streichelt. Schon als Kind habe ich gerne in alten Gebäuden Verstecken gespielt. Jetzt, zum Schluss bei Steffen, stellt sich wieder dieses Gefühl der Geborgenheit ein.

Du wirst eine schöne Ruine werden, sagt Steffen. Schließlich hast du statistisch gesehen noch 40 Jahre zu leben. Und mit dem richtigen Friseur ist das kein Problem.