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Tanz mir das Pi!

Sanja Neskovic Persins und Antoine Effroys Performances auf Kampnagel  ■ Von Christian T. Schön

Wer kennt die mathematische Formel für die Kreisfläche? Niemand wird antworten. Antoine Effroy weiß das und rechnet deshalb zu Beginn seines Programmes selbst mit Kreide auf dem Boden vor, wie aus seinen Körpermaßen eine kreisrunde Fläche entsteht. Auf diesen Kreis von kaum fünf Quadratmetern beschränkt sich der Aktionradius der folgenden fünfzig Minuten von Effroys Performance Heute habe ich Geburtstag, die jetzt zusammen mit Sanja Neskovic Persins Hov, Hov, Suzana beim Junge Hunde-Festival auf Kampnagel Premiere feierte.

Die 13 Choreographien hat sich der 34-jährige Franzose von Freunden, Bekannten und Kaum-Bekannten „anstatt einer Flasche Wein“ schenken lassen.

Antoine Effroy tanzt zu Gesprächen, Geschichten, Hintergrundgeräuschen und Stille, er erzählt, schweigt, guckt, rezitiert „Schne-cken schmecken nicht“. Er bewegt sich wie ein Adler, wie eine Unterwasseranemone und tanzt wie ein Irrer – wenn man das (noch) Tanz nennen kann: lakonische Erzählbewegungen, Zuckungen und minimal dance mischen sich mit klassischem und modernem Tanz.

Der Kreis, den Effroy traumwandlerisch durchmisst, bildet dabei immer die zentrale Aktionsfläche. Es sei denn, er setzt sich über alle Konventionen des Tanzes hinweg: Die Musik beginnt bereits, da sitzt der Tänzer noch am Boden und zieht sich Socken an; der folgende Tanz ist eine rauschende, aber harmlose Parodie auf den klassischen Tanz, unterlegt von Lou Reeds irgendwie immer peinlich pathetischem Sprechgesang: doing the modern dance. Dann tanzt er auch außerhalb des Kreises.

Mit viel Ironie und Witz entblößt Effroy die menschliche Körpersprache und ihre gestelzten (Droh-) Gebärden. Mit viel Liebe zum Körper und zu natürlichen Bewegungen zeichnet er ein bescheidenes Selbstportrait.

Den stärksten Eindruck hinterlassen die minimalen Tanzmuster des nackten Tänzerkörpers: Wenn sich nur seine Rippen, Rückenwirbel und Arme bewegen – dann gewinnt man eine Vorstellung von der Zahl Pi.

Heute ist mein Geburtstag ist wie Geburtstag, Ostern und Weihnachten an einem Tag. Und es zelebriert die scheinbar unendliche Ausweitung des Tanzbegriffs, so dass in Zukunft sicherlich noch zu sehen sein wird, wie Antoine Effroy ein Reimann-Integral, die Deutsche Gebärdensprache oder zu Hundegebell tanzt.

Hov, Hov, Suzanna heißt nämlich das erste Tanzsolo der Slowenin Sanja Nekovic Persin. Unter einer transparenten Halbkugel versteckt sich bei diesem Stück die zierliche Tänzerin. Perfekt und anmutig sind ihre Halt und Balance suchenden Figuren, elegante und schwebende Sprünge beißen sich mit feuriger Salsa-Musik. Ihr zitternder Tanz wirkt wie der unsichere Gang von Gedanken – und die Halbkugel wie ein gespenstisch ausgeleuchteter Totenschädel.

Nicht nur scheinbar unsicher ist dagegen die Inszenierung des Stü-ckes. Es geht nicht, wie angekündigt, um Formen der Angst. Die Musik von Aphex Twin und Squarepusher würde Angst erzeugen und Chris Cunnighams Videos dazu würden Beklemmung hervorrufen.

In Hov, Hov, Suzana bereitet jedoch nur das Knarzen der Musik gelegentlich unangenehmes Kopfstechen, aber Bilder der Angst sind im warmen Licht und den bunten Videos wirklich nicht zu erkennen. (Die darin zu sehenden Kinder und das Verrühren von Eigelb versprühen vielmehr Zuversicht und Energie.) Und wenn sich Perin am Ende der Performance dann noch als Szene-Girlie verkleidet und auf vermutlich schmerzhaft hohen Absätzen davonstöckelt, ist das nicht mehr als ein ironischer Wink.

Wo Antoine Effroys Portrait als ironische Performance über den Kreis betrachtet werden kann, erscheint Perins Verwandlung als mutig choreographierte Halbkugel. Mit vier drolligen Wackelhunden, die dem Zuschauer zum Abschied zu allem Überfluss gar lustig zuni-cken. – Und was macht Effroy? Der tanzt zum Abschluss auch noch den Abspann und den Premierenapplaus.

Weitere Vorstellungen heute und morgen, jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel

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