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„Theater? Aussteigen!“

Das transsilvanische Städtchen Bistrica wird einmal im Jahr zum wichtigsten rumänischen Forum für Freies Theater – inklusive turnende Kinder, tönende Obdachlose und Pflaumenschnapsdebatten. Eine der Inszenierungen ist auch beim Potsdamer Off-Theater-Festival Unidram zu sehen

Ein Beamter will nicht glauben, dass rumänisches Theater eine Reise wert ist

von DIRK PILZ

Eine laue Nacht, Mitte September letztes Jahr. Der Zug ruckt über Gleisnähte, im Abteil wird geschnarcht. Wir haben über eine Stunde Verspätung, aber das stört hier keinen. Inzwischen nähert sich der Fernzug Budapest– Cluj Napoca sowieso der Schrittgeschwindigkeit. Bis unvermittelt Grenzer an den Zugseiten auftauchen, Hunde und Waffen führen, über das Gleisbett leuchten. Innen wird jeder Sitz und jede Deckenverschalung gelüpft. Passkontrolle, Taschendurchsicht. „Was wollen Sie in Rumänien?“ Na ja, Altfest in Bistrica: „Ein Theaterfestival besuchen.“ – „Theater? Aussteigen!“ Vier Soldaten und ein Reisender auf dem Weg zum zentral- und osteuropäischen Off-Theater-Treffen Altfest betreten eine provisorische Baracke. Es ist ein bisschen wie in den Fernsehfilmen von früher: Schreibtisch, Uniformen, Gabeltelefon. Und zum Glück ist dann alles dabei: offizielle Einladung, Visum, gültiger Pass. Der erste Eindruck von Rumänien bleibt ein launischer Beamter, der nicht glauben will, dass rumänisches Theater eine Reise wert ist.

Einen Tag später, angekommen in Bistrica, einem verschlafenen Städtchen in Transsilvanien, drängt sich schnell ein anderes Bild auf: offene und beschämend gastfreundliche Menschen, die mit der Armut kämpfen, aber keine sauertöpfischen Klagen führen. Ein Team aus Bukarest hat hier mit viel Energie und Einfallsreichtum ein Festival auf die Beine stellt, das zum wichtigsten rumänischen Podium für Freies Theater geworden ist. Über zwanzig Gruppen aus Osteuropa bespielen beinahe alles, was halbwegs theatertauglich ist. Kinos, Klubhäuser, Kneipen und Parkanlagen. Das Altfest will vor allem die gegenwärtige Position des Freien Theaters ausleuchten, will seinen gesellschaftlichen Ort in Rumänien finden. Die Zuschauer honorieren das.

Während dieser Woche sind die Bühnen weniger ein etablierter Kulturraum als ein Angebot, die Lücken zu füllen – hinterlassen von den historischen Umbrüchen. Der Eintritt ist frei, die Leute kommen und gehen, wie es ihnen schmeckt. Theater ist beim Altfest keine Unterhaltungsmaschine und auch keine höhere Reflexionsanstalt. Es ist ein Raum für Begegnungen. Mit Pflaumenschnaps und wilden Debatten danach. Manchmal turnen Kinder über die Ränge, sitzen laut tönend Obdachlose in den Gängen. Das ärgert natürlich die Schauspieler, aber es gehört dazu. Eine schöne Atmosphäre, so ganz ohne Bussi-Gesellschaft.

Oder ist das der idealisierende Blick aus dem reichen Deutschland auf das ach so arme Rumänien? Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch die im Grunde banale Entdeckung, dass es für eine wahrhaftige Bühnenkunst nicht viel braucht – obwohl das leidige Thema Finanzen hier genauso eine Rolle spielt. Die Mittel und Bedingungen sind bescheiden, obwohl inzwischen größere Sponsoren gewonnen werden konnten. Es komme eben darauf an, was man wolle, erzählen einem die Leute auf dem Weg durch die Stadt. L’art pour l’art ist kaum zu sehen, das Theater ist meist von einer Seele durchzogen, die ihre Anbindung an gesellschaftliche Wirklichkeit nicht verloren hat.

Schlagartig leuchtet einem die Aussage von Heiner Müller ein, dass Demokratie keine gute Quelle für das Drama sei. Diese seltsame Dialektik: Wo die Probleme am dringendsten sind, wird die Kunst am triftigsten. Auch wenn zwischen gesellschaftlicher Realität und Bühnenwirklichkeit kein kausaler Zusammenhang besteht. Knifflige Verknotungen.

Viele der Inszenierungen machen trotzdem sprachlos vor Fremdheit. Manches kommt sehr dröge daher, einiges ist von einem Furcht erregenden Pathos getränkt. Bestimmte europäische Linien haben an Rumänien vorbeigeführt. An einem Nachmittag sitzen gut hundert Theatermacher um einen Bildschirm und sehen sich Standbilder zu Arbeiten von Marina Abramovic, Frank Castorf und Joseph Beuys an – Unbekannte. „Wie hermetisch das Land einst abgeriegelt war, ist kaum vorzustellen“, erzählt Dragos Galgotiu vom Zentrum für zeitgenössische Kunst in Bukarest.

Es ist an den Inszenierungen abzulesen, die den deutschen Besucher oft ratlos entlassen. Eigentlich ist er angereist, um auf spannende Gruppen zu stoßen und sie nach Deutschland einzuladen. Was spannend ist und was nicht, ist in Bistrica aber nicht genau zu sagen. Zu vieles ist zu schwer zu fassen. Einige Arbeiten jedoch stechen sofort heraus und überzeugen nachhaltig: Das Nottara Theater aus Bukarest mit seiner Inszenierung „DaDaDans“ zum Beispiel. Anarchistisches, bildersprühendes Körpertheater, wo die Schwerkraft der Körper den Bewegungen hinterherhinkt und die Worte der Sprache davoneilen. Der Abend besticht gerade deshalb, weil rumänische Traditionen mit westeuropäischen Einflüssen ringen – ohne dass eine Seite gegen die andere ausgespielt wird.

Reisen in den Osten sind immer Verunsicherungstrips. Wie jede Reise, die den Sprung über den eigenen Schatten versucht. Theater kann solche Qualitäten auch haben, lässt es sich auf produktive Irritationen ein. Unidram will das, in diesem Jahr bereits zum achten Mal. Wenn es gut geht, werden die Zuschauer verwirrt, erstaunt und bereichert die Vorstellungen verlassen. So wie man von einer (Rumänien-) Reise zurückkommt, bleibt einem dann das Festival in Erinnerung: Manches hinterlässt nur Schulterzucken, anderes begeistert auf Anhieb, und einiges begreift man vielleicht erst Jahre später.

Der Autor ist Mitarbeiter von Unidram und besucht in diesem Rahmen seit mehreren Jahren Theaterfestivals und -aufführungen im In- und Ausland.

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