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Im goldenen Käfig

■ Der alte „Männer- und Weiberknast“ in Lesum soll zur Luxus-Immobilie werden / In die Zellen kommen Bäder oder Garderoben, gewohnt wird in einem neuen gläsernen Anbau

In großen Fetzen blättert die Farbe von den Wänden. Das Metall der Gitterfenster ist komplett mit Rost überzogen. In mehreren Räumen liegen Schutthaufen aus heruntergeschlagenen Kacheln. Dazu Staub und Spinnen. Fehlt nur noch der typische Modergeruch, der durch feuchte Kellergewölbe wabert. Dennoch: In 14 Monaten sollen hier vier bis sechs große, gediegene Wohnungen bezugsfertig sein. Der Architekt Heino Andreas Schemmel will den 100 Jahre alten ehemaligen „Männer- und Weiber-knast“ in Lesum, direkt hinter dem Polizeigebäude gelegen, in eine Luxusimmobilie verwandeln.

Schier unglaublich ist dies vor dem Hintergrund, dass die kleinen Fenster des Gemäuers allesamt mit Stahlstäben vergittert sind. Und: Jeder der 50 seperaten Räume ist nur sparsame sieben Quadratmeter groß. Alle 50 Zellen zweigen von langen, schummerigen Gängen ab und sind feinsäuberlich durchnummeriert. Die schweren, mit Metall beschlagenen Türen und die gewaltigen Schlösser versprechen, jedem Ansturm standzuhalten.

„Architektonisch gesehen ist dies eine sehr interessante Aufgabe“, findet Schemmel. Das Gebäude, das von den sechzigern bis Ende der achtziger Jahre als Jugend-Arrest-Anstalt diente und anschließend kurzfristig Flüchtlinge beherbergte, sei historisch wertvoll. Außerdem wolle er das „städtebauliche Gesamtensemble“ in „1A-Lage“ an der Hindenburgstraße – bestehend aus dem alten Gerichtsgebäude, heute Polizei, und dem Ex-Knast – unbedingt erhalten.

Wenn – wie geplant – der Umbau im Sommer 2002 abgeschlossen ist, sollen nach dem Wunsch des Architekten und des Maklers Bodo Aretz drei Läden im Erdgeschoss einziehen. In der erste Etage könnten sich vier Arztpraxen oder „Freiberufler“ ansiedeln. Die „Loft-Luxus-Eigentumswohnungen“ sollen schließlich im zweiten Ober- und Dachgeschoss liegen.

Interessenten, versichert Schemmel, gebe es genug: Ein Pensionär habe bereits angekündigt, seine Villa zu verkaufen. Dafür möchte er sich dann auf 240 Quadratmetern Knast ausbreiten und sein Wohnzimmer im ehemaligen Gebetssaal einrichten. Betuchte Rentner in Karohosen und Karrierefrauen im Trenchcoat inspizierten beim Tag der offenen Tür vor einer Woche die verwinkelten Gänge des alten Gefängnisses – mit sichtbar gerümpften Nasen. Dass ihnen Schutt, Zellen und Gitterstäbe ein Graus sind, war ihnen anzumerken.

Damit sich die zahlungskräftige Klientel künftig so richtig wohl fühlt, will Schemmel eine ausladende Glaskonstruktion vor das Gebäude setzen, in der sich die Wohnräume befinden. Wo einst die Häftlinge ihre Strafen absitzen mussten, sitzen die neuen Bewohner höchstens auf dem Klo: Die Zellen sollen zu Flur, Garderobe oder Bad umfunktioniert werden.

Zurück in der Gegenwart. „Furchtbar!“, murmelt Besucherin Liselotte Kanzler beim Anblick der Zellen. Als die rüstige 78-Jährige noch für die Polizei arbeitete, habe sie einmal zum Spaß in einer Zelle übernachtet. „Wenn die schwere Tür ins Schloss fiel, war das einfach schrecklich“, erinnert sie sich. Und Luxuswohnungen findet sie auch reichlich überflüssig. Trotzdem schaut sie sich neugierig um.

Daran, dass der Bau nach elf langen Jahren endlich wieder genutzt werden sollte, besteht in Lesum kein Zweifel. Auch die Burglesumer Beiratsmitglieder Bettina und Martin Hornhues (CDU) sind in den Ex-Knast gekommen. Sie sähen es allerdings lieber, wenn die Stadtteilbibliothek in Erd- und erstes Obergeschoss einziehen würde. Und Nobelwohnen im Knast als neuer Mode-Gag, als verkaufsfördernde Maßnahme? Für Knast-Gast Martin Hornhues ganz normal: „Es werden schließlich allerorten Gefängnisse oder Schulen in Hotels umgewandelt“. Goldene Käfige, überall. Silvia Massow

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