: Herrn Meyers Gitarrensolo
Beim Kongress „Wahlwerbung rockt!“ in der Hochschule der Künste sind die geladenen Politiker die Stars
Wenn sich der Rauch über den Trümmern der großen Koalition verzogen hat, kann Berlin sich der Zukunft zuwenden. Und diese Zukunft heißt Wahlkampf. Leider wird dabei meist mit den Mitteln der Vergangenheit gearbeitet. Erste Anzeichen dafür sind schon ersichtlich: Die Kontrahenten wetzen kräftig die Messer, rote Socken und andere olle Kamellen sind bereits ausgepackt.
Da trifft es sich gut, dass sich an der Hochschule der Künste (HdK) gerade 300 Studenten über die Wahlkampagnen der Zukunft den Kopf zerbrechen. Anlass dieses Kreativworkshops ist der Werbekongress, den Studenten des Fachbereichs Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation jedes Jahr veranstalten. Drei Tage lang diskutieren, überlegen und flirten die zukünftigen Werber dabei mit Agenturchefs und Promis. Nach Angaben der Veranstalter ist der Werbekongress das größte Nachwuchsforum der Branche in Deutschland.
Dieses Jahr lautet das Motto „Volksvertreter sucht Luftgitarre – Wahlwerbung rockt!“ Konventionelle Wahlwerbung sei so langweilig wie „Knutschen mit Omi“, sagt Projektleiter Daniel Busche. Deswegen brüteten die Teilnehmer in Workshops darüber, wie man Politikern mehr Pop-Appeal verschaffen kann. Die Verantwortlichen für die vermeintlich unerotischen Kampagnen kamen zum Auftakt am Donnerstag erst einmal selbst zu Wort. Und sie bemühten sich, nach Kräften zu beweisen, dass Wahlwerbung alles andere als geriatrisch sein kann.
Wer sich zum Beispiel immer schon gefragt hat, wie Eberhard Diepgen vor zwei Jahren die Berliner Wahlen gewinnen konnte, wurde von Axel Wallrabenstein, der damals bei der Agentur Publicisfür die CDU-Kampagne verantwortlich war, aufgeklärt. „In diesem Wahlkampf hatte die Partei keinen Slogan“, klärte er auf, „wir hatten nur den Kandidaten Diepgen.“ Deswegen habe man dem leicht verschnarchten Diepgen ein dynamisches Image verpasst und den „Ebi Runner“ getauften Turnschuh sowie das Plakatmotiv „Diepgen rennt für Berlin“ kreiert. Dass Tom Tykwer, der Regisseur von „Lola rennt“ gegen letzteres Plakat geklagt hatte, habe der Kampagne mehr genutzt als geschadet. „Man muss den Medien Grund geben, über die Kampagne zu berichten“, so das Fazit des Werbeprofis.
Laurenz Meyer hat auch so seine Erfahrungen mit Wahlkampagnen aufzuweisen. Als Generalsekretär der CDU war er verantwortlich für das missratene Plakat, das Kanzler Schröder als Straftäter zeigte. Am Donnerstag gehörte er zu den prominenten Gästen der abschließenden Podiumsdiskussion, neben SPD-Geschäftsführer Matthias Machnig, dessen grünen Kollegen Reinhard Bütikofer und der neuen Generalin der FDP, Cornelia Pieper. Auch zu diesem Anlass konnte er das Sticheln gegen die Regierungspartei nicht lassen: „Die Art und Weise, wie Schröder seiner Kusine die Stasitätigkeit verziehen hat, ist eine klare Vorbereitung auf den Wahlkampf in Berlin.“ Mit solchen Sprüchen versuchte Meyer, der in Berlin eine harte Auseinandersetzung erwartet, sich auf dem Podium im Mittelpunkt zu stellen. Machnig, dem die Angriffe galten, zeigte sich davon jedoch nicht beeindruckt. Schließlich hat er mit der 98er-Kampagne für Gerhard Schröder die größeren Erfolge im Wahlkampf vorzuweisen.
Wie sich der Werbenachwuchs einen sexy Spitzenkandidaten vorstellt, zeigte sich bereits in der Mittagspause. Da stürmte ihr Kanzlerkandidat Cesar Ceysa, begleitet von Bodyguards und zwei knapp gekleideten Models die Bühne und verkündete: „Politik ist wie ein Popkonzert: Ich stehe hier oben, und der Rest steht unten.“ Von den Studenten, die in der Mehrheit aussahen, wie den Modeseiten des I-D-Magazins entsprungen, erhielt dieser Auftritt den lautesten Beifall des Tages. DANIEL FERSCH
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