: Weiß der Geier, wie ein Parse korrekt verwest
Indiens Zarathustra-Anhänger in Aufruhr: Kann Solarenergie auf den traditionellen Begräbnisstätten die aussterbenden Aasgeier ersetzen?
DELHI taz ■ Die Parsen sind neben den Juden Indiens kleinste Religionsgemeinschaft und wie diese auf dem Subkontinent vom Aussterben bedroht. Während die letzten Juden nach Israel auswandern, schrumpft die Zahl der rund 75.000 Parsen wegen Überalterung und fehlenden Nachwuchses. Dazu kommen häufige Mischheiraten. Es ist das Resultat eines modernen Lebensstils, den diese urbane Elite von Bombay, wo 70 Prozent von ihnen leben, seit langem gewählt hat. Nun holt die Urbanisierung zu einem weiteren Schlag gegen die Anhänger der altpersischen Religion Zarathustras aus. Die Aasgeier in der Steinwüste von Bombay sind ebenfalls im Aussterben begriffen. Von den weiß gefiederten und langschnabeligen Tieren, die über dem vornehmen Malabar Hill kreisen, gibt es, so ein kürzlicher Bericht der Bombay Natural History Society, nur noch fünfzehn Exemplare.
Aasgeier sind die Leichengräber der Parsen. Die avestische Religion Zarathustras verehrt die Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser, und diese sollen daher nicht durch die sterblichen Überreste von Menschen besudelt werden. Deshalb werden die Leichen in turmhohen „Dokhmas“ den Sonnenstrahlen ausgesetzt und den neugierigen Blicken der Welt entzogen. Da dieser Trocknungs- und Auf|ösungsprozess aber mehrere Monate dauert, haben die Parsen schon immer die Hilfe der Vögel akzeptiert, die sich über die Leichen hermachten, sobald sie auf der Plattformen der „Türme des Schweigens“ ausgesetzt wurden. In Bombay stehen die fünf Dokhmas aber am Malabar Hill, umgeben von Hochhäusern der Neureichen. Zwar können sich die Geier nicht über mangelnde Nahrung auf den Türmen beklagen, doch diese kann den Verlust an Lebensraum in einer modernen Großtadt nicht wettmachen. Zudem sind die Vögel von einer ungeklärten Viruskrankheit befallen.
Nun hat sich der oberste Rat der Parsen zur Rettung der gefährdeten Begräbnistradition aufgerafft. Wie üblich stehen sich Modernisten und Traditionalisten feindlich gegenüber. Die Gralshüter der Religion, deren Vorfahren vor 1.400 Jahren auf der Flucht vor dem Islam von Iran nach Indien geflüchtet waren, wollen eine Zuchtstation für die Langschnabelgeier einrichten. Sie hatten letztes Jahr sogar den unerhörten Beschluss gefasst, zu diesem Zweck einer englischen Spezialistin den Zugang zu einem Turm des Schweigens zu gestatten, damit sich diese über das Verhalten der Vögel orientieren konnte. Dem stellen die Gegner eine einfache Alternative gegenüber: Solaranlagen rund um die Turmbrüstungen würden die Sonnenstrahlen auf die Leichen richten; eine Erhitzung von 175 Grad Celsius soll sicherstellen, dass diese nicht verbrennen oder verkohlen, sondern in weniger Tagen austrocknen. Ein weiterer Vorzug: Die Solarzellen versperren neugierigen Kameras aus den Hochhäusern die Sicht.
Für die Traditionalisten sticht keines der Argumente. Für sie ist „Dokhmanashini“ ein religiöser Brauch, der nur durch die langschnabligen Leichenbestatter ausgeführt werden darf.
BERNARD IMHASLY
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