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Der Zar kann wohl zaubern

aus Sofia BARBARA OERTEL

Die Freiheit haben die Bulgaren mit der demokratischen Wende im Jahre 1989 zurückerhalten, doch die allein macht noch nicht satt. Das bekommt auch Jordan Petrov jeden Tag aufs Neue zu spüren. Der 62-Jährige, in einem abgerissenen Arbeitsanzug und Gummigaloschen mit einem fleckigen Verband über der rechten Augenbraue, jätet hier Unkraut und stutzt das Gras – notgedrungen. Nur von den umgerechnet 50 Mark Rente monatlich nach 30 Jahren Schufterei als Heizer könnte er nicht leben. Die unfreiwillige Rabattenpflege bringt zusätzlich 70 Mark in die Haushaltskasse, aber auch das reicht kaum für das Nötigste.

Der Retter naht

Doch jetzt hat das Darben ein Ende, denn der Retter naht. „Bald werden wir ein besseres Leben haben, Gehälter und Löhne werden steigen, wenn er kommt, unser König Simeon. Er hat im Ausland gelebt, und nur er weiß, wie man das macht. Ich werde Simeon am Sonntag wählen“, sagt Jordan Petrov. Simeon II., mit bürgerlichem Namen Simeon Borissov Koburggotski, war der letzte Zar Bulgariens. 1943 wurde er als Sechsjähriger durch das plötzliche Ableben seines Vater abrupt auf den Thron befördert, drei Jahre später musste die Familie nach der Machtübernahme der Kommunisten das Land verlassen und ging ins spanische Exil.

1996 besuchte Simeon, nunmehr ein erfolgreicher Geschäftsmann in Madrid, zum ersten Mal wieder seine Heimat, wo ihn Hunderttausende begeistert feierten. Doch gelegentliche Stippvisiten und Aufenthalte in der mittlerweile rückübertragenen Residenz Vrana lasteten den Monarchen offensichtlich nicht aus. Anfang dieses Jahres kündigte er an, in die bulgarische Politik gehen zu wollen. Im April gründete Simeon seine Nationale Bewegung Simeons II. (NDS II). Deren Botschaft ist so einfach wie griffig: „Ehrlichkeit in allem“ steht unter dem Konterfei Simeons, auf dem der Blaublüter in Anzug und Krawatte sein Gegenüber mit stechendem Blick fixiert. Andere Plakate versprechen eine neue Moral in der Politik, neue Ideen für Bulgarien, schnelle Anhebung des Lebensstandards und einen entschlossenen Kampf gegen Korruption. Derartige Verheißungen kommen an – und wie. Laut jüngsten Umfragen kann die NDS II bei den morgigen Parlamentswahlen mit rund 38 Prozent der Stimmen rechnen und würde damit stärkste politische Kraft in der Volksversammlung.

Der Endspurt im Wahlkampf zwingt die Helfer des Königs zu Sonderschichten. Im Sofioter Wahlkampfstab der NDS II, in der zentral gelegenen Schischmannstraße reichen Damen in taillierten Kostümen und Herren in Maßanzügen im Akkord zusammengerollte Königsbilder und -slogans über den blank polierten Tresen. Im zweiten Stock hat Nikolai Marinov sein Büro, Simeons Wahlkampfmanager. Marinov ist 1974 aus Bulgarien emigriert und seitdem in New York City ansässig. Nun macht sich der gelernte Buisinessmann und Manager als Königsmacher nützlich. Lässig lehnt sich der 52-Jährige in seinem gut gepolsterten, schwarzen Ledersessel zurück. Eigentlich, so sagt er, sei Simeon mit seinen Fähigkeiten für ein Land wie Bulgarien überqualifiziert. Aber er wolle nun einmal dazu beizutragen, dass Bulgarien eine normale europäische Demokratie werde. Der Weg dorthin ist schnell beschrieben. „Die gesamte Regierungsmaschinerie bis hinein in die Machtspitze ist durch und durch korrupt. Dagegen müssen wir vorgehen, das heißt die alten durch neue Leute ersetzen. Wenn dann noch endlich ein entsprechendes legales Gerüst steht, werden auch die ausländischen Investoren kommen“, sagt Marinov. Die „neuen Leute“ sind alle vom Kaliber Marinovs: junge, dynamische Wirtschaftsfachleute. „Aber alle mit bulgarischem Pass“, wie Marinov betont.

Das Volk ist enttäuscht

Dem Vorwurf der Korruption, der im vergangenen Jahr im Zuge eines Skandals zwei hohe Regierungsbeamte ihre Posten kostete, hat der amtierende Premierminister und der Chef der Vereinigten Demokratischen Kräfte (ODS), Ivan Kostow, nicht viel entgegenzusetzen. Umfragen sehen die ODS, die 1997 noch die absolute Mehrheit einfahren konnte, jetzt nur noch bei rund 20 Prozent. Dabei haben Kostow und seine Mannschaft durchaus einige Erfolge vorzuweisen.

Nicht zuletzt unter dem Druck internationaler Finanzorganisationen schlug die Regierung sofort nach ihrem Amtsantritt einen radikalen Reformkurs ein. Damit hat das Land mittlerweile, auch dank der Einrichtung eines Währungsrates, der die Bindung der Landeswährung an die D-Mark strikt überwacht, die Inflation in den Griff bekommen. Vorverhandlungen mit der Europäischen Union (EU) über einen Beitritt haben begonnen, und im vergangenen April wurde der Visumzwang für bulgarische Staatsbürger, die in die EU reisen wollen, abgeschafft. Doch der Preis, den ein Großteil der Bevölkerung dafür entrichten musste, war hoch. Die Kaufkraft wurde entscheidend geschwächt, die Arbeitslosigkeit liegt heute nach offiziellen Angaben bei 17 bis 20 Prozent. „Die Mehrheit der Bevölkerung hat die vergangenen vier Jahre als Verschlechterung ihres Lebensstandards erlebt. Sie ist von der Regierung enttäuscht“, sagt der Politologe und Leiter des Institutes für Liberale Strategien in Sofia, Ivan Krastev.

Patriarch mit Partei

Dass gerade Simeon dieses Protestpotenzial anzieht, erklärt Krastev mit der Ambivalenz der Person des Zaren. So bedient er die Sehnsucht nach der Königsherrschaft und jene nach dem sozialisitischen Versorgungsstaat des Vorwendebulgarien gleichermaßen. Gleichzeitig benehme er sich nicht wie ein Politiker, sondern wie ein Patriarch mit einer politischen Partei. „Er spricht über Moral. Dabei ist er noch nicht einmal Populist, weil er nichts Konkretes verspricht. Er sagt nur: „Alles wird gut, glaubt mir“, sagt Krastev. Gerade in dieser Unbestimmtheit sehen viele Kritiker Simeons aber auch eine große Gefahr für das Land. Klar ist schon jetzt, dass es eine Koalitionsregierung geben wird, nur wie die aussehen soll, weiß niemand. Vertreter der NDS II propagieren ein möglichst breites Bündnis unter Beteiligung von Experten.

Ja wo ist denn der König?

Simeon, der selbst nicht für einen Parlamentssitz kandidiert, schweigt sich über seine künftige Rolle aus. Da die Verfassung vorschreibt, dass Bewerber für das Präsidentenamt vor dem Wahltermin mindestens fünf Jahre im Land gelebt haben müssen, ist ihm dieser Posten derzeit verwehrt. Luben Dilow ist überzeugt: „Er will wieder die Monarchie einführen, ihm ist es völlig egal, wer im Parlament und in der Regierung sitzt.“

Diese Unterstellung dementierte der König vor zwei Tagen wieder entschieden. Doch ansonsten hält sich Seine Majestät mit klaren Aussagen möglichst zurück. Auch in der Hauptstadt macht er sich rar. Das verwundert nicht, sind doch die Menschen in Sofia mehrheitlich eher skeptisch gegenüber dem Zaren. „Na, wo ist denn der König, damit ich ihm den Arsch wischen kann“, knurrt ein alter Mann, der die Straße in sicherer Entfernung zu Simeons Wahlkampfstab überquert. Luba Salova drückt das Ganze etwas filigraner aus. „Die Leute, die Simeon wählen, sind dumm. Sie glauben, dadurch würden sie fast über Nacht reich werden. Doch das funktioniert nicht“, sagt die 64-jährige Rentnerin. „Die Menschen müssen hart arbeiten, sonst wird sich nichts ändern. Doch das haben viele hier noch nicht begriffen.“

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