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Wenn Schwänzen zum Alltag wird

■ Eine Fachtagung beschäftigte sich mit dem Problem der Schulverweigerung / Bis zu 250 „Totalverweigerer“ in Bremen

Die verhasste Mathestunde, das leidige Basketballspielen – jeder hat mal blau gemacht. Nicht mehr als eine Mini-Revolte, erinnert man sich. Tatsächlich kann sich harmloses Schwänzen aber auch zur kompletten Schulverweigerung auswachsen. Dazwischen liegt ein weites Feld. „Herausforderung für Schule und Jugendhilfe“ hieß darum die Fachtagung über Schulverweigerung. Vergangenen Donnerstag und Freitag haben Experten aus Beratung, Sozialbehörden und Schulen über ihre Erfahrungen mit Dauerschwänzern berichtet.

Der 13-Jährige Junge zum Beispiel. Der musste jeden Mittag im Familienbetrieb helfen. Deshalb kann er nie an schulischen Nachmittagsveranstaltungen teilnehmen. Jeden Herbst nimmt ihn sein Vater für zwei Monate mit in sein Heimatland. Kein Wunder, dass der Junge danach im Unterricht nicht mehr mitkommt und am Ende der Schule fern bleibt.

Nur ein Beispiel von mehreren hundert. In Bremen gehen schätzungsweise 200 bis 250 Jugendliche überhaupt nicht (mehr) zur Schule. Totalverweigerer. Bei einer Gesamtzahl von rund 53.000 Schulpflichtigen und etwa 19.000 BerufsschülerInnen ist das inzwischen mindestens jeder 360-ste.

Dabei gibt es je nach Schultyp unterschiedlich viele Verweigerer. An Haupt- und Sonderschulen liegt die Zahl besonders hoch, die Gymnasien zählen noch am wenigsten. Allerdings seien solche Angaben mit Vorsicht zu genießen, betont Klaus Kirchner vom Schulzentrum Neustadt. Einheitliche Erhebungskritierien gebe es bislang nämlich keine.

Die Gründe dafür, dass Kinder und Jugendliche aufhören, zur Schule zu gehen, sind mindestens so vielfältig, wie die Formen des Nicht-zur-Schule-gehens. Laut Bernd Schmitt von der Jugendhilfe des Deutschen Roten Kreuzes gibt es SchulschwänzerInnen, die nur morgens geweckt werden müssten, eine regelmäßige Mahlzeit und Hausaufgabenhilfe bräuchten und sie gingen wieder ins Klassenzimmer.

So einfach ist das Problem allerdings nicht immer zu lösen. Denn was macht man mit sogenannten „benachteiligten“ SchülerInnen, die später ohnehin nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt sehen und keinen Bock auf Schule haben? Gerade Kinder, die aus einem so genannten schwierigen Elternhaus kommen, können zu Schulverweigerern werden. Und das kann ganz simpel mit dem Basketballspielen beginnen. Laut Barbara Chavez-Ramirez vom Schulärztlichen Dienst könne die Nicht-Teilnahme am Schulsport auf psychische Probleme hinweisen, die im Endeffekt auch zur Schulverweigerung hinführen könne.

Auf dem Podium der Veranstaltung war man sich weitgehend darüber einig, dass die Kooperation zwischen allen beteiligten Institutionen weiter verbessert werden muss. Außerdem würden mehr Personal und mehr Geld für die ausgesprochen beratungsintensive Arbeit benötigt. Fridolin Sickinger vom Amt für soziale Dienste reichen aber auch Geld und Stellen nicht. Er formulierte die Fragen, die es noch zu beackern gilt: Wie kann Bildung trotz schlechter Voraussetzungen gelingen? Womit kann man Jugendliche schützen und wie kann man psychische Verletzungen verhindern? Neue Betrachtungen eines alten Problems – aber bislang noch keine Lösungen.

Ube

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